Das AJ-Besteck wurde Teil eines Gesamtkunstwerks – sowohl auf der Erde (SAS Hotel Kopenhagen) wie auch im Film (2001 Space Odyssey).
(Bild: Georg Jensen)
Auf dem Raumschiff Discovery, irgendwo zwischen Mars und Jupiter, stochert Wissenschaftsastronaut David Bowman leicht zerstreut in seiner Weltraumnahrung. Bunt püriertes in sorgsam unterteilten Fächern eines Plastiktabletts, dazu ein Hochkant-Monitor im DIN-A4-Format, auf dem eine Nachrichtensendung von der Erde läuft. Die Szene aus Stanley Kubricks Filmklassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ wirkt bis heute wie ein Blick in die Zukunft. Und mittendrin: ein Essbesteck, das mehr an chirurgisches Instrumentarium erinnert als an Tafelsilber. Schmal, glatt, sachlich. Entworfen wurde es ein gutes Jahrzehnt zuvor – von Arne Jacobsen.
Kurze Gabelzinken, große Wirkung
Der dänische Architekt und Designer war ein Meister des funktionalen Gesamtkonzepts. Für das 1960 eröffnete SAS Royal Hotel in Kopenhagen, das erste Designhotel Europas, entwarf Jacobsen nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch jedes Detail des Interieurs: von Leuchten und Textilien über Möbel bis hin zum Geschirr – und eben jenem Besteck. Der Löffel: schmal und stromlinienförmig. Die Gabel: mit kurzen, fast schüchternen Zinken. Das Messer: so scharf und schlicht wie ein Skalpell. Ein Entwurf wie aus der Zukunft, dabei tief verankert im Gestaltungswillen der Moderne.
Von der Hotellobby in den Orbit
Im SAS Royal Hotel war das Besteck allerdings bald wieder verschwunden. Zu unpraktisch, so das Urteil der Betreiber: zu glatt, zu futuristisch für den Alltag. Doch die Filmwelt entdeckte das Design für sich. Stanley Kubrick, selbst ein ästhetischer Perfektionist, integrierte das Besteck 1968 in sein visionäres Science-Fiction-Epos. Dort, wo alles künstlich wirkt, aber nichts beliebig ist, wurde Jacobsens Entwurf zum perfekten Requisit. Plötzlich stand es symbolisch für Fortschritt, Technikglauben und die Idee einer konsequent durchgestalteten Zukunft.
Design ohne Kompromisse
Jacobsen ging es nie um Showeffekte. Er wollte den Alltag verbessern – durch gute Form, durch Klarheit, durch Reduktion. Seine Designlinie war radikal modern, aber nie modisch. „Jacobsen hat mit seinem Besteck einen visionären Entwurf geschaffen, der sich dem Diktat der Tradition widersetzt“, so ein Designhistoriker des Dänischen Designmuseums. Dass es im Hotelbetrieb nicht funktionierte, war eher eine Bestätigung seiner Kompromisslosigkeit. Und letztlich wohl ein Geschmackurteil: Denn Jahrzehnte später, nach einem Besitzerwechsel, kehrte das Besteck in den Speisesaal zurück. Pünktlich zum Anbruch des realen Jahres 2001.
Ein Klassiker hebt wieder ab
Heute ist das AJ-Besteck eine Designikone. Es wird von Designfans gesammelt, von Museen ausgestellt und von Gourmetrestaurants eingesetzt, die Wert auf stilistische Klarheit legen. Es steht für eine Zeit, in der Form und Funktion als untrennbar gedacht wurden, und für einen Gestalter, der Architektur bis in die kleinste Gabelzinke verstand. Wer damit speist, nimmt nicht nur Nahrung zu sich – er wird Teil eines Gesamtkunstwerks. Vielleicht sogar Teil einer konkreten Utopie.
Faktencheck AJ-Besteck Entstehung: 1957 für das SAS Royal Hotel in Kopenhagen Bekannt aus: „2001: A Space Odyssey“ (1968) von Stanley Kubrick Designmerkmale: Minimalistisch, einteilig, funktional Schmale Löffel, kurze Gabelzinken, skalpellartiges Messer Edelstahl, matt gebürstet Besonderheit: Erst abgelehnt, dann Kult Symbol für Fortschritt und Zukunftsvision Wieder im Einsatz im renovierten SAS Royal Hotel |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Utopia Storm betreut das Film-, Kunst- und Design-Ressort von Phaenomenal.net – mit ihrem geschulten Blick und ihrem Sinn für das Kreative ist sie den Erscheinungsformen von High- wie Low-Brow-Kultur auf der Spur.
Letzte Beiträge
SmartphoneApril 25, 202520 Jahre YouTube: Wie drei Freunde die Welt der Bewegtmedien auf den Kopf stellten
DesignApril 25, 2025Keep it simple: Wie die Casio F-91W zur erfolgreichsten Uhr der Welt wurde
Science-FictionApril 24, 2025„Black Mirror“ Staffel Sieben: Zwischen Dystopie und Empathie
UnterhaltungsbrancheApril 23, 2025Schmerz als Geschäft: Netflix-Serie ‚Painkiller‘ entlarvt den Ursprung der Opioid-Krise
Schreibe einen Kommentar