Eine Bastlernatur, die mit unermüdlichem Eifer alles optimiert,
was ihr unter die Finger kommt, ob nun Software, Musikinstrumente oder der eigenen Körper.
(Bild: Redaktion/GPT4o)
Wenn Ray Kurzweil über die Zukunft spricht, klingt es, als sei sie längst da – nur noch nicht gleichmäßig verteilt. Der 76-jährige Futurist, Erfinder und Google-Ingenieur gilt als einer der prominentesten Vordenker des technologischen Wandels. Sein Leben ist eine einzige Vorbereitung auf die Singularität: jenen Punkt, an dem künstliche Intelligenz menschliche Intelligenz übertrifft – und sich mit ihr verbindet. Für Kurzweil ist dieser Moment kein Hirngespinst. Er hat ein Datum: 2045.
Bücher als Baupläne der Zukunft
In seinen Schriften entwirft Kurzweil nicht nur technische Visionen, sondern ein ganzes Menschenbild. The Singularity Is Near (2005) wurde zum Klassiker der KI-Philosophie. Die zentrale These: Technologie entwickelt sich exponentiell – und der Mensch steht vor der größten Transformation seiner Geschichte. Zwei Jahrzehnte später, 2024, folgt The Singularity Is Nearer. Angesichts des KI-Booms rund um Sprachmodelle wie GPT und Deep Learning sieht Kurzweil seine Vorhersagen bestätigt – und das Eintreten der Singularität näher denn je. Doch sein Denken reicht über Algorithmen hinaus. Bereits in Fantastic Voyage: Live Long Enough to Live Forever (2004) erklärte Kurzweil, wie sich der Tod technisch überlisten lässt: durch eine strikte Diät, Nahrungsergänzungsmittel und das Vertrauen in bald verfügbare Nanotechnologie. Wer lange genug lebe, könne ewig leben.
Das Erbe eines Bastlers
Geboren 1948 in New York, Sohn eines Musikpädagogen und einer bildenden Künstlerin, baute Kurzweil mit sieben ein Robotertheater. Mit 15 schrieb er erste Programme, mit 17 gewann er nationale Wissenschaftswettbewerbe. Später entwickelte er die erste Schriftenerkennungssoftware, ein Lesegerät für Blinde, den ersten Synthesizer mit Orchesterklang. Stevie Wonder wurde sein erster Kunde, Bill Clinton ehrte ihn mit der National Medal of Technology. Doch trotz Ruhm und Technik blieb Kurzweil ein Suchender – angetrieben von der Idee, dass alles besser werden kann.
Maschinen, die uns nicht ersetzen, sondern erweitern
Kritiker nennen seine Vorstellungen größenwahnsinnig. Doch Kurzweil denkt nicht in Dystopien. Er träumt von einer Welt, in der künstliche Intelligenz Krankheiten heilt, das Gehirn erweitert und unsere Körper unsterblich macht. Eine Welt, in der Maschinen nicht gegen, sondern mit uns denken. „Wir werden hybrid“, sagt er, „biologisch und digital zugleich.“ Menschsein, so seine Botschaft, sei kein starres Konzept – sondern ein Upgrade-fähiger Prozess.
Reichtum für alle
Doch Kurzweil ist auch Realist: Er weiß, dass der technologische Umbruch soziale Spannungen erzeugen wird. Deshalb spricht er sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus – eine Idee, die er bereits 2018 in einem TED Talk skizzierte. „In den 2030er Jahren“, so seine Prognose, „werden wir weltweit ein Grundeinkommen haben. Nicht aus Mangel, sondern aus Überfluss.“ Arbeit werde dann nicht mehr zur Existenzsicherung nötig sein – sondern zum Selbstzweck.
Science-Fiction oder zwanwgsläufige Entwicklung?
Das klingt nach Science-Fiction. Doch wenn Kurzweil recht behält, ist es nur eine Frage der Zeit. Und er ist bereit, bis zum richtigen Moment zu überleben – mit 100 Nahrungsergänzungsmitteln pro Tag, regelmäßigen Scans und einem Vertrag bei der Cryonics-Stiftung Alcor, die seinen Körper nach dem Tod einfrieren soll.
Kurzweils Vision mag polarisieren. Doch sie zwingt uns, über die großen Fragen nachzudenken: Wer wollen wir sein, wenn Maschinen fühlen? Und was heißt Menschlichkeit, wenn sie nicht mehr an Biologie gebunden ist?
Ray Kurzweils Schlüsselwerke zur Singularität The Age of Spiritual Machines (1999) Kurzweils erstes großes Werk zum Thema künstliche Intelligenz und maschinelles Bewusstsein. Prognostiziert den Aufstieg digitaler Intelligenz – und stellt philosophische Fragen nach Identität, Geist und Seele. Fantastic Voyage: Live Long Enough to Live Forever (2004) Gemeinsam mit dem Arzt Terry Grossman beschreibt Kurzweil, wie Menschen ihr biologisches Leben mit Ernährung, Supplementen und Technologie so lange verlängern können, bis Unsterblichkeit technisch möglich wird. The Singularity Is Near (2005) Das Standardwerk zur technologischen Singularität. Kurzweil beschreibt darin die exponentielle Entwicklung von KI, Nanotechnologie und Robotik – und warum er glaubt, dass Mensch und Maschine bis 2045 verschmelzen werden. How to Create a Mind (2012) Kurzweils Modell des menschlichen Denkens: Die „Pattern Recognition Theory of Mind“ erklärt, wie das Gehirn Muster erkennt – und wie diese Struktur von Maschinen nachgebildet werden kann. The Singularity Is Nearer: When We Merge with AI (2024) Die Fortsetzung seines Bestsellers – aktualisiert im Zeitalter des KI-Booms. Kurzweil legt dar, wie aktuelle Entwicklungen (wie GPT und neuronale Netze) die Singularität beschleunigen. Enthält auch Überlegungen zu Gesellschaft, Ethik und dem bedingungslosen Grundeinkommen. |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Pascale de Haut-Gamme betreut das Personen-Ressort von Phaenomenal.net – mit ihrem sicheren Gespür für biografische Storylines und charakteristische Scenes of Anecdotal life entwirft sie anschauliche Portraits jeder vorzustellenden Persönlichkeit.
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