Mitten im azurblauen Herzen der Karibik, in Kingston, Jamaika, lenkt seit dem 1. Januar 2025 eine Frau die Geschicke der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA): Leticia Reis de Carvalho. Als erste Frau, erste Ozeanografin und erste Lateinamerikanerin an der Spitze dieser Organisation steht sie vor der gewaltigen Aufgabe, das „gemeinsame Erbe der Menschheit“ zu schützen und gleichzeitig die Nutzung der Tiefsee-Ressourcen zu regeln.
Ein Leben zwischen Wissenschaft und Diplomatie
Geboren 1973 in Rio de Janeiro und aufgewachsen in Brasília, entdeckte Carvalho früh ihre Leidenschaft für die Ozeane. Sie studierte Ozeanografie an der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul und erwarb später einen Master in nachhaltiger Entwicklung an der Universität Brasília.
Ihre Karriere begann sie 2001 im brasilianischen Umweltministerium, wo sie bis 2013 zur Direktorin für Umweltqualität in der Industrie aufstieg. Anschließend wechselte sie zum Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und leitete dort die Abteilung für Meeres- und Süßwasser. Diese Positionen schärften ihr Profil als Expertin für globale Umweltpolitik und multilaterale Verhandlungen.
Der steinige Weg an die Spitze der ISA
Im August 2024 wurde Carvalho mit 79 von 113 Stimmen zur Generalsekretärin der ISA gewählt und setzte sich damit gegen den Amtsinhaber Michael Lodge durch. Ihre Wahl fiel in eine Zeit, in der die ISA wegen mangelnder Transparenz und zu großer Nähe zur Tiefseebergbauindustrie in der Kritik stand. Carvalho versprach, das Vertrauen in die Organisation wiederherzustellen und betonte die Notwendigkeit von Reformen.
Balanceakt zwischen Schutz und Nutzung
Die ISA verwaltet eine Fläche von etwa 260 Millionen Quadratkilometern Meeresboden jenseits nationaler Hoheitsgebiete – ein Gebiet, das nahezu die Hälfte der Erdoberfläche ausmacht. Ihre doppelte Mission besteht darin, dieses Gebiet als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ zu schützen und gleichzeitig die Exploration und potenzielle Ausbeutung von Ressourcen zu regulieren. Carvalho steht somit vor der Herausforderung, Umweltschutz und wirtschaftliche Interessen in Einklang zu bringen.
Finanzierung und rechtliche Grundlagen
Die ISA wird durch Beiträge ihrer 168 Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union finanziert. Allerdings nicht nur: pikanterweise steuern Bergbau-Unternehmen, die von der Behörde Lizenzen beantragen, ebenfalls einen Teil bei. Die ISA-Arbeit basiert auf dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) von 1982, das den rechtlichen Rahmen für Aktivitäten auf dem Meeresboden jenseits nationaler Hoheitsgebiete bildet.
Aktuelle Entwicklungen im Tiefseebergbau
Der kommerzielle Tiefseebergbau steht an der Schwelle zur Realität. Unternehmen wie The Metals Company drängen darauf, Genehmigungen zu erhalten, um in internationalen Gewässern nach wertvollen Mineralien zu schürfen. Gleichzeitig wächst der Widerstand von Umweltorganisationen und Wissenschaftlern, die vor irreversiblen Schäden für die Meeresökosysteme warnen.
Schatzkammer der Zukunft bewahren
Carvalho betont die Bedeutung eines wissenschaftlich fundierten Ansatzes und die Notwendigkeit, alle Interessengruppen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Sie sieht ihre Rolle darin, einen transparenten und inklusiven Dialog zu fördern, um nachhaltige Lösungen für die Nutzung der Tiefsee-Ressourcen zu finden.
In einer Zeit, in der die Tiefsee sowohl als Schatzkammer der Zukunft als auch als empfindliches Ökosystem betrachtet wird, steht Leticia Carvalho vor der Herausforderung, diesen Spagat zu meistern. Ihre Führungsrolle wird entscheidend dafür sein, ob der Meeresboden nachhaltig genutzt oder unwiederbringlich geschädigt wird.
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Pascale de Haut-Gamme betreut das Personen-Ressort von Phaenomenal.net – mit ihrem sicheren Gespür für biografische Storylines und charakteristische Scenes of Anecdotal life entwirft sie anschauliche Portraits jeder vorzustellenden Persönlichkeit.
Letzte Beiträge
E-Mobilität26. April 2025[Portrait] Die Welteroberin: Stella Li brachte BYD auf die globale Bühne
Design25. April 2025[Portrait] Gutes Design drängt sich nicht auf: Ryūsuke Moriai, das heimliche Genie hinter Casios Kultuhren
Portrait24. April 2025[Portrait] Charlie Brooker: Der Satiriker, der uns in den schwarzen Spiegel schauen lässt
Portrait22. April 2025[Portrait] Countdown zur Unsterblichkeit: Ray Kurzweil, der Prophet der Singularität
Schreibe einen Kommentar