Sci-Fi-Literatur als Politik-Prototyping: Wenige AutorInnen nehmen die Einheit
von Theorie & Praxis so ernst wie Theresa Hannig.
Bild: Redaktion/Pablo Ignacio Paspartú (PiPaPu)
Wenn Theresa Hannig zur Feder greift, geht es nicht nur um ferne Galaxien oder kybernetische Utopien. Es geht um uns als Zeitgenossen. Um unsere Gegenwart, die blinden Flecken unserer Wahrnehmung – und die Frage, wie wir das Zusammenleben in diesem Jahrhundert gestalten wollen. Hannigs Romane sind dafür die passenden Denkexperimente, weil sie uns in mögliche Zukünfte versetzen. Die parallel stattfindende politische Arbeit der Autorin wiederum kann man zugleich als gelebte Konsequenz aus diesen Visionen verstehen.
Zwischen Codezeilen und Kapitelanfängen
Die 1984 in München geborene Hannig hat Politikwissenschaft studiert, aber ebenso in der IT-Branche gearbeitet – als Projektmanagerin und Entwicklerin. Die Logik digitaler Systeme kennt sie nicht nur theoretisch, sondern aus dem Alltag. Diese Erfahrungen fließen spürbar in ihre Romane ein, die sich mit Überwachung, künstlicher Intelligenz und der Klimakrise auseinandersetzen. „Ich wollte Geschichten schreiben, die mich selbst umtreiben – auch wenn sie unbequem sind“, beschreibt Theresa Hannig selbst ihre Motivation.
Dystopie mit Haltung
Im mehrfach ausgezeichneten Debütroman Die Optimierer (2017) setzt sie eine durchdigitalisierte Gesellschaft in Szene, in der das Leben der Menschen vollständig vermessen und „optimiert“ wird. Das Gemeinwohl erstarrt zum Dogma, der Einzelne verkommt zur verwalteten Größe. „Ich wollte zeigen, wie verführerisch ein System sein kann, das Effizienz und Ordnung über alles stellt“, erklärt Hannig. In der Fortsetzung Die Unvollkommenen (2019) zeigt das System erste Risse – und eine Bewegung formiert sich, die für Menschlichkeit und Unvollkommenheit kämpft.
Der Roman Pantopia (2022) geht noch einen Schritt weiter: Eine künstliche Intelligenz übernimmt die Weltregierung – ausgerechnet im Namen der Menschenrechte. Ist das der Durchbruch zur Gerechtigkeit oder eine neue Form der Kontrolle?
Schreiben als politischer Akt
Doch Hannig bleibt nicht bei der Fiktion. Seit 2021 ist sie Gleichstellungsreferentin im Stadtrat von Fürstenfeldbruck. Schon 2019 startete sie die Kampagne #wikifueralle – eine Initiative gegen strukturelle Ungleichheit in der Wikipedia. „Wir brauchen mehr Sichtbarkeit für Frauen und nicht-binäre Personen – auch im digitalen Raum“, so die Autorin. Sichtbarkeit sei nicht nur symbolisch wichtig, sondern auch machtpolitisch: Wer nicht vorkommt, wird nicht gehört.
Kolumne, Klimabewegung, Klassenzimmer
Neben ihren Romanen schreibt sie eine monatliche Kolumne für die taz, hält Vorträge und entwickelt Unterrichtsmaterial zu ihren Büchern. Ihr jüngster Roman „Parts Per Million“ (2024) behandelt die Radikalisierung innerhalb der Klimabewegung. „Mich interessiert, was passiert, wenn gute Absichten auf eine Welt treffen, die sich nicht schnell genug verändert“, erklärt Hannig. Ihre Literatur ist damit immer auch Spiegel gesellschaftlicher Auseinandersetzung.
Utopie ist kein Eskapismus
Theresa Hannig denkt über das Morgen nach – und schreibt für ein Heute, das besser werden soll. Ihre Geschichten stellen unbequeme Fragen und laden zum Mitdenken ein. Sie zeigen: Science-Fiction muss nicht eskapistisch sein. Das Genre kann politisch sein, feministisch, engagiert. Und sie kann Türen öffnen – zu einer Zukunft, die wir noch gestalten können.
Kurzuinfo: Romane von Theresa Hannig
Die Optimierer (2017)
Ein durchdigitalisierter Staat steuert das Leben seiner Bürger bis ins Detail – im Namen des Gemeinwohls. Ein Idealvermittler beginnt zu zweifeln.
Die Unvollkommenen (2019)
Fünf Jahre später: Widerstand gegen das System formiert sich, doch der Weg in die Freiheit ist gefährlich und persönlich.
König und Meister (2021)
Ein Mystery-Roman mit familiärem Geheimnis und spirituellen Elementen – zwischen Realität und Übersinnlichem.
Pantopia (2022)
Eine künstliche Intelligenz ruft eine globale Weltrepublik aus. Eine Vision von grenzenloser Gerechtigkeit – und ihren Fallstricken.
Parts Per Million (2024)
Ein aufrüttelnder Roman über die Radikalisierung der Klimabewegung und die Frage, wie weit Aktivismus gehen darf.
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Pascale de Haut-Gamme betreut das Personen-Ressort von Phaenomenal.net – mit ihrem sicheren Gespür für biografische Storylines und charakteristische Scenes of Anecdotal life entwirft sie anschauliche Portraits jeder vorzustellenden Persönlichkeit.
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