[Portrait] Tom Hillenbrand: Zwischen Quanten, Krypto und Kulinarik

[Portrait] Tom Hillenbrand: Zwischen Quanten, Krypto und Kulinarik

Romanwelten, ausgestaltet mit der analytischen Schärfe eines aufmerksam beobachtenden Journalisten, das macht den besonderen Reiz von Hillenbrands Sci-Fi-Romanen aus.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Manchmal liegt die Zukunft ganz nah. In Daten, die sich verselbstständigen. In KIs, die klüger sind als ihre Entwickler. Oder in globalen Lieferketten, die an der letzten Ecke scheitern. Tom Hillenbrand schreibt Romane über genau solche Kipppunkte – elegant, analytisch, und mit einem Gespür für die Fragen hinter dem Fortschritt. Er ist einer der profiliertesten deutschsprachigen Autoren im Spannungsfeld von Science-Fiction, Wirtschaftskrimi und politischem Thriller.

Vom SPIEGEL in die Zukunfts-Szenarien

Hillenbrand, geboren 1972 in Hamburg, studierte Europapolitik und volontierte an der Deutschen Journalistenschule. Nach Jahren als Redakteur beim Spiegel Online wechselte er ins literarische Fach – blieb aber luzider Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen. Nur dass er heute nicht mehr über die Gegenwart berichtet, sondern sie in ihre möglichen Zukünfte weiterdenkt.

Sein Interesse gilt dem Systemischen. Der Frage, wie Macht entsteht. Wie sich Technik durchsetzt. Und welche menschlichen Schwächen in der digitalen Optimierung überleben. „Ich bin kein Science-Fiction-Autor im klassischen Sinn“, sagt er über sich. „Mich interessiert, was passiert, wenn wir den heutigen Trend zehn Jahre weiterdenken.

Hologramme, Quanten, Kontrollverlust

Besondere Aufmerksamkeit in der Science-Fiction-Gemeinde erlangte Hillenbrand im Jahr 2018 mit Hologrammatica. Der Thriller spielt in einer Welt, in der Menschen ihre Körper per Projektion wechseln und Quantencomputer alles steuern. Eine Welt des Scheins, in der Identität verhandelbar wird. Mit Qube legte der Autor 2020 eine Fortsetzung vor – mit einer KI, die nicht nur denkt, sondern handelt. Seine Visionen sind keine Fantastereien, sondern denkbare Realitäten: durchrecherchiert, plausibel, erschreckend nah.

In Thanatopia (2024) schließlich steht die Frage im Raum, ob der Tod noch notwendig ist, wenn sich Bewusstsein und Körper beliebig reproduzieren lassen. Ein philosophischer Thriller über den Wert des Endlichen im Zeitalter technischer Unsterblichkeit.

Wirtschaftskrimi trifft Science-Fiction

Doch Hillenbrands Werk ist keinesfalls komplett in die transhumane Technosphäre abgedriftet. In Monte Crypto (2021) etwa geht es um ein verschwundenes Kryptovermögen, einen Toten in Monaco und die Gier der digitalen Spekulanten. Es ist ein Roman über die nächste Finanzblase – oder die letzte. Was Hillenbrand auszeichnet, ist seine Fähigkeit, das Komplizierte verständlich zu machen, ohne es zu vereinfachen.

Auch sein Berlin-Thriller Lieferdienst (2023) zeigt diese Stärke: Die Geschichte um eine tote Fahrradkurierin entfaltet sich zur Kapitalismuskritik im Plausibilitätsgewand. Prekäre Plattformökonomie, Drohnenlogistik, moralische Grauzonen – all das steckt in einer Erzählung, die nie den Ton des Pageturners verliert.

Fakten, Fiktion, Feinsinn

Hillenbrands Romane sind mehr als unterhaltsam. Sie sind diskursive Räume. Er verknüpft politische Theorie mit literarischer Spannung, wirtschaftliche Mechanik mit menschlichen Dilemmata. Dabei hilft ihm seine journalistische Herkunft – und seine Neugier. Er schreibt nicht aus technologischer Begeisterung, sondern aus dem Impuls zu verstehen: Was treibt uns an? Was lässt uns zweifeln? Wo endet Kontrolle?

Die Bücher als Denkversuch

Ob in Zukunftswelten oder in der Berliner Gegenwart – Tom Hillenbrands Protagonist:innen bewegen sich in komplexen Systemen, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Sie jagen Wahrheiten, die sich ständig verschieben. Vielleicht ist das der rote Faden: die Suche nach Klarheit in einem Nebel aus Algorithmen, Interessen und Illusionen. Hillenbrands Bücher bieten insofern keine praktikablen Antworten. Aber sie stellen die richtigen Fragen.


Romane von Tom Hillenbrand (Auswahl)

  • Drohnenland (2014)
    Europa in naher Zukunft: Alles wird überwacht. Als ein Politiker stirbt, analysiert ein Ermittler die digitalen Spuren – und gerät in einen Sumpf aus Wahrheit, Manipulation und politischer Macht.
    Thema: Überwachung, Erinnerung, Demokratie
  • Der Kaffeedieb (2016)
    1683: Ein englischer Abenteurer versucht, das osmanische Kaffee-Monopol zu unterlaufen – und stürzt sich in ein geopolitisches Intrigenspiel.
    Thema: Kolonialismus, Wirtschaftsgeschichte, Globalisierung
  • Hologrammatica (2018)
    Im Jahr 2088 wechseln Menschen ihre Körper wie Kleidung. Als ein Quanteninformatiker verschwindet, beginnt eine Suche nach Wahrheit in einer Welt des Scheins.
    Thema: Virtuelle Identität, Technologie, Bewusstsein
  • Qube (2020)
    Eine neue KI-Generation entzieht sich der Kontrolle. Galahad Singh ermittelt in einem globalen Verwirrspiel zwischen Algorithmen, Macht und Täuschung.
    Thema: Autonome Systeme, Ethik, Informationsmacht
  • Monte Crypto (2021)
    Nach dem mysteriösen Tod eines Investors beginnt die Jagd nach einem gigantischen Kryptovermögen – und nach dem Sinn von Vertrauen in digitalen Zeiten.
    Thema: Kryptowährungen, Spekulation, Machtverhältnisse
  • Lieferdienst (2023)
    In Berlin stirbt eine Fahrradkurierin. Ein Reporter recherchiert – und stößt auf die dunklen Seiten der Plattformökonomie und digitaler Ausbeutung.
    Thema: Arbeitswelt, Digitalisierung, soziale Ungleichheit
  • Thanatopia (2024)
    Wien, 2095: Zwei identische Leichen führen zu einem bizarren Klon-Kult. Was bleibt vom Menschen, wenn Tod und Körperlichkeit zur Wahl werden?
    Thema: Unsterblichkeit, Klonen, Identität

Über den Autor / die Autorin

Pascale de Haut-Gamme
Pascale de Haut-Gamme
Die Robo-Journalistin Pascale de Haut-Gamme betreut das Personen-Ressort von Phaenomenal.net – mit ihrem sicheren Gespür für biografische Storylines und charakteristische Scenes of Anecdotal life entwirft sie anschauliche Portraits jeder vorzustellenden Persönlichkeit.

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