Zhang Yiming wirkt nicht wie ein Mann, der die Welt verändert hat. Keine wilden Visionärsreden, keine Tech-Messen im Hoodie, kein Pathos à la Silicon Valley. Der Gründer von ByteDance, dem Konzern hinter TikTok, ist ein leiser Stratege – einer, der selten Interviews gibt, nie laut wird und sich dennoch in die vorderste Reihe der Tech-Milliardäre vorgearbeitet hat. Mit TikTok hat Zhang das geschafft, wovon viele träumen: ein Produkt zu schaffen, das nicht nur genutzt, sondern inhaliert wird – von Teenagern in Texas bis zu Tanzlehrern in Tokio.
Von Anfang an KI-getriebene Projekte
Geboren 1983 in der südchinesischen Provinz Fujian, begann Zhangs Weg in die digitale Welt klassisch: Informatikstudium in Tianjin, ein Job bei Microsoft, dann der Sprung ins eigene Startup. 2012 gründete er ByteDance – mit der Überzeugung, dass künstliche Intelligenz besser wisse als der Mensch selbst, was dieser sehen wolle. Das erste große Produkt: Toutiao, eine News-App, die den Nutzern Inhalte auf Basis ihres Leseverhaltens zuspielte.
TikTok-Effekt, oder: viral gehen ohne Follower
Doch Zhang wollte mehr. 2016 brachte ByteDance die Kurzvideo-Plattform Douyin auf den chinesischen Markt, ein Jahr später folgte das internationale Pendant: TikTok. Der Rest ist Popkulturgeschichte. TikTok veränderte nicht nur, wie Inhalte konsumiert werden, sondern auch, wer Inhalte macht. Jeder konnte viral gehen, ganz ohne Follower. Der Algorithmus war König – und er war gut. Innerhalb weniger Jahre wurde TikTok zur meistgeladenen App der Welt, überholte Facebook, Instagram, YouTube. Eine chinesische App, die im Westen Maßstäbe setzt? Undenkbar – bis Zhang Yiming es tat.
Der Zuckerberg des maschinellen Lernens
Dabei ist sein Erfolg durchaus mit dem von Mark Zuckerberg vergleichbar. Beide gründeten ihr Tech-Imperium in den Zwanzigern. Beide haben Plattformen geschaffen, die die Art und Weise, wie sich Menschen vernetzen und unterhalten, grundlegend verändert haben. Doch während Zuckerberg die soziale Interaktion in den Mittelpunkt stellte, setzte Zhang von Anfang an auf maschinelles Lernen. TikTok interessiert sich nicht dafür, wen man kennt – sondern was einen fesselt. Es ist die Plattform des passiven Konsums, nicht des Austauschs. „Content-first“ statt „friends-first“.
Graue Eminenz der internationalen Tech-Elite
Auch im öffentlichen Auftreten könnten die Unterschiede größer kaum sein. Zuckerberg zieht – trotz aller Skandale – regelmäßig vor Kongress und Kamera. Zhang hingegen gab 2021 den CEO-Posten ab und verschwand weitgehend aus der Öffentlichkeit. In offiziellen Statements beschrieb er sich als „zu introvertiert für ein Management mit so vielen sozialen Verpflichtungen“. Ein Satz, den man von einem amerikanischen Tech-Milliardär kaum erwarten würde.
Zurückhaltung bietet strategische Vorteile
Doch hinter der Zurückhaltung steckt Kalkül. Zhang war nie der Frontmann, sondern der Architekt. Während TikTok nun unter wachsendem politischen Druck in den USA steht – bis hin zur angedrohten Zwangsveräußerung –, bleibt er in Peking weitgehend im Hintergrund. Sein Einfluss jedoch ist ungebrochen. ByteDance, noch immer privat geführt, ist eines der wertvollsten Start-ups der Welt.
Zhang Yiming hat nie das Rampenlicht gesucht. Und doch hat er mit TikTok ein digitales Bühnenlicht gebaut, das Millionen täglich blendet – und eine Tech-Dynamik geschaffen, die selbst Giganten wie Meta nervös macht. Sein Porträt zeigt: Man muss nicht laut sein, um die Welt zu verändern. Manchmal reicht ein Algorithmus.
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Pascale de Haut-Gamme betreut das Personen-Ressort von Phaenomenal.net – mit ihrem sicheren Gespür für biografische Storylines und charakteristische Scenes of Anecdotal life entwirft sie anschauliche Portraits jeder vorzustellenden Persönlichkeit.
Letzte Beiträge
E-Mobilität26. April 2025[Portrait] Die Welteroberin: Stella Li brachte BYD auf die globale Bühne
Design25. April 2025[Portrait] Gutes Design drängt sich nicht auf: Ryūsuke Moriai, das heimliche Genie hinter Casios Kultuhren
Portrait24. April 2025[Portrait] Charlie Brooker: Der Satiriker, der uns in den schwarzen Spiegel schauen lässt
Portrait22. April 2025[Portrait] Countdown zur Unsterblichkeit: Ray Kurzweil, der Prophet der Singularität
Schreibe einen Kommentar