Besonders marode sind die Brücken dort, wo finanziell klamme Kommunen zuständig sind.
(Bild: Redaktion/GPT4o)
Triage, das klingt nach Katastrophenmedizin: Wer hat die besten Überlebenschancen und sollte bevorzugt behandelt werden? Doch inzwischen ist diese Methode auch für Bauingenieure zum Alltag geworden. Tausende Straßenbrücken sind so marode, dass nicht einmal mehr genug Geld da ist, um alle zu retten. Eine neue Studie des europäischen Dachverbandes Transport & Environment (T&E) zeichnet ein alarmierendes Bild vom Zustand der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland – und warnt vor fatalen politischen Versäumnissen, die schon heute milliardenschwer zu Buche schlagen.
Der Sanierungsstau frisst die Infrastruktur auf
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Rund 6.000 Brücken auf Bundesautobahnen und Bundesstraßen erfüllen bereits jetzt die Kriterien für einen Ersatzneubau. Das sind etwa ein Viertel aller Brücken im Fernstraßennetz – und dabei ist der gewaltige Sanierungsbedarf auf kommunaler Ebene noch nicht einmal eingerechnet. Insgesamt beziffert die T&E-Studie den Investitionsstau auf knapp 100 Milliarden Euro. Das Bundesverkehrsministerium hingegen plant bis 2030 gerade einmal 4.000 Erneuerungen – und auch nur entlang des europäischen Hauptverkehrsnetzes (TEN-T). Der Rest bleibt sprichwörtlich auf der Strecke.
Die stille Krise auf kommunaler Ebene
Besonders dramatisch ist die Lage dort, wo kaum einer hinschaut: bei den Straßenbrücken unter kommunaler Verwaltung. Drei Viertel des deutschen Straßennetzes liegen in der Verantwortung von Ländern und Kommunen, doch verlässliche Daten über deren Zustand fehlen weitgehend. Einzelne Erhebungen lassen erahnen, wie tief der Sanierungsbedarf reicht. Laut dem Deutschen Institut für Urbanistik liegt der Investitionsbedarf allein im kommunalen Bereich bei über 46 Milliarden Euro – mindestens weitere 10 Milliarden entfallen auf die Länder. Damit summieren sich die notwendigen Mittel auf einen dreistelligen Milliardenbetrag. Geld, das bislang nicht eingeplant ist.
Wenn Beton bröckelt, wird es teuer
Die Folgen dieser jahrelangen Vernachlässigung sind nicht nur optisch sichtbar – sie sind auch teuer. Der Bundesrechnungshof kritisiert seit Jahren die mangelhafte Priorisierung und unzureichende Umsetzungskapazitäten. Denn jede verschleppte Sanierung wird in Zukunft doppelt so teuer, wie Erfahrungen aus Österreich zeigen: Dort verdoppeln sich die Sanierungskosten im Durchschnitt innerhalb von acht Jahren, wenn keine Maßnahmen erfolgen. In Deutschland sind bereits viele Brücken so weit heruntergewirtschaftet, dass ein kompletter Neubau die einzige Option bleibt. Beispiele wie die Ringbahnbrücke auf der Berliner Stadtautobahn A100 oder die Talbrücke Uttrichshausen auf der A7 machen deutlich, wie verschleppte Instandhaltung in gesperrten Verkehrsachsen und zusätzlichen Millionen-Investitionen mündet.
Ein Strategiewechsel ist überfällig
Die Umweltorganisation T&E fordert deshalb einen radikalen Kurswechsel. Statt immer neue Straßen zu planen, müsse das bestehende Netz bewahrt werden. „Erhalt vor Neubau“ heißt das neue Mantra – ergänzt um eine gezielte Unterstützung der Kommunen, eine langfristige Finanzierung und ökologische Standards beim Wiederaufbau. Brücken aus grünem Stahl und klimafreundlichem Zement könnten nicht nur ökologisch punkten, sondern auch der Bauwirtschaft mehr Planungssicherheit verschaffen.
Beton bröckelt – Vertrauen auch
Der Zustand der Brücken ist mehr als ein technisches Problem. Es geht um Mobilität, um Versorgungssicherheit, um wirtschaftliche Stabilität – und nicht zuletzt um das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat. Wenn immer mehr Autobahnabschnitte zur Sackgasse werden, weil sich niemand frühzeitig um ihre Standfestigkeit gekümmert hat, dann verliert nicht nur der Verkehr seinen Fluss, sondern die Politik ihre Glaubwürdigkeit. Die Triage auf der Straße ist längst Realität. Die Frage ist nur: Reagiert die nächste Bundesregierung mit einem Notfallplan – oder bleibt der Sanierungsstau das neue Normal?
Brückenland Deutschland: Infrastruktur im Krisenmodus Anzahl der Brücken im Bundesfernstraßennetz: ca. 25.000, davon rund 6.000 bereits heute offiziell als „ersatzbedürftig“ eingestuft Investitionsstau laut T&E: rund 100 Milliarden Euro im gesamten deutschen Straßennetz Geplante Ersatzneubauten laut Verkehrsministerium bis 2030: nur 4.000 Brücken – vor allem entlang des europäischen Hauptverkehrsnetzes (TEN-T) Zusätzlicher Bedarf auf kommunaler Ebene: mindestens 46 Milliarden Euro für Brücken in Städten und Gemeinden, 10 Milliarden Euro unter Verantwortung der Länder Folge verschleppter Sanierungen: Sanierungskosten verdoppeln sich im Schnitt alle 8 Jahre (laut österreichischem Vergleich) Forderungen von T&E und DUH: Sanierung statt Neubau priorisieren Finanzielle Unterstützung für Kommunen Klimafreundliche Baustoffe wie „grüner Stahl“ verwenden Verkehrsverlagerung auf die Schiene stärken |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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