[Buchtipp] Wie Facebook sich selbst verriet: „Careless People“ von Sarah Wynn-Williams

[Buchtipp] Wie Facebook sich selbst verriet: „Careless People“ von Sarah Wynn-Williams

Kaum ein Unternehmen hat soviel Einfluss auf den Alltag der Menschen wie Facebook – doch der Konzern scheint seiner Verantwortung nicht gerecht zu werden.

(Bild: Macmillan/Coverdetail)

Wer verstehen will, warum der einstige Tech-Held Facebook heute für viele als Sinnbild digitaler Verantwortungslosigkeit gilt, sollte dieses Buch lesen. Careless People ist keine theoretische Abrechnung – sondern ein brisanter Erfahrungsbericht aus dem Maschinenraum der Macht. Sarah Wynn-Williams, langjährige Spitzenmanagerin bei Facebook, beschreibt nicht nur, was dort entschieden wurde – sondern wie, von wem und mit welchen Folgen. Es ist eine Geschichte über verlorene Ideale, toxische Allianzen und ein Unternehmen, das die Welt verändert hat – zum Guten wie zum Schlechten.

Machtspiele im Maschinenraum

Wynn-Williams führt ihre Leser mitten hinein in die Facebook-Kulissen der 2010er-Jahre: Privatjets, Treffen mit Staatschefs, interne Strategierunden über Leben und Tod. Sie war Teil des Global-Policy-Teams, verhandelte mit Regierungen, entschärfte Krisen – und wurde Zeugin einer Unternehmenskultur, die laut eigener Aussage „nicht bloß dysfunktional, sondern gefährlich“ war. So beschreibt sie, wie Facebooks Führung – allen voran Mark Zuckerberg – bereit war, Zensurwerkzeuge für China zu bauen, Daten von Nutzerinnen zu verkaufen und sich mit autoritären Regimen zu arrangieren, solange der Zugang zu neuen Märkten winkte.

Der Opportunismus hat Geschichte

Bemerkenswert ist dabei, wie früh Careless People Entwicklungen andeutet, die erst in jüngster Zeit für Schlagzeilen sorgen – etwa Zuckerbergs offener Flirt mit Donald Trump und seine angeblichen Ambitionen auf einen Posten in einer künftigen republikanischen Regierung. Wynn-Williams beschreibt, wie Facebook schon während Trumps erster Kandidatur 2016 strategisch zurückruderte, Fake News duldete und algorithmisch befeuerte – aus Kalkül, nicht aus Naivität. Ihre Einschätzung: Facebook war weniger Getriebener, sondern bereitwilliger Architekt einer Welt, in der Desinformation profitabel ist.

Frauen im Tech-Fegefeuer

Die persönliche Dimension ihres Berichts macht das Buch besonders eindrücklich. Wynn-Williams erzählt auch von ihren Kämpfen als Mutter in einem Konzern, der nach außen Gleichstellung propagierte, intern aber ein Klima der Einschüchterung und Doppelmoral pflegte. Von Sheryl Sandbergs berühmtem „Lean in“ blieb intern wenig übrig – außer einem zynischen Rat: „You should have got into the bed.“ Der Satz stammt angeblich von Sandberg selbst.

Meta gegen das Manuskript

Schon vor Erscheinen sorgte das Buch für Aufregung. Meta versuchte juristisch, die Veröffentlichung zu stoppen. Ein Schiedsgericht verbot der Autorin öffentliches Marketing – doch der Verlag veröffentlichte trotzdem. Die juristische Drohkulisse machte das Buch erst recht zur Pflichtlektüre. Der US-Senat zitierte Careless People bereits in einer laufenden Untersuchung zu „Project Aldrin“ – Facebooks geheimer China-Strategie.

Eine Frage der Verantwortung

Careless People ist mehr als ein autobiographischer Bericht – es ist ein mahnender Zwischenruf aus der digitalen Gegenwart. Wynn-Williams schildert ein Unternehmen, das einst an das Gute im Vernetzen glaubte – und dann auf Macht, Einfluss und Marktanteile setzte. Ihr Bericht ist unterhaltsam, schockierend, sarkastisch – und hochpolitisch. Vor allem aber stellt er eine unbequeme Frage: Was passiert, wenn Menschen mit unfassbarer Macht zu sorglos, zu ehrgeizig oder einfach zu gleichgültig werden? Die Antwort ist leider hochaktuell.

Sarah Wynn-Williams,
Careless People. A Cautionary Tale of Power, Greed, and lost Idealism.

Macmillan Verlag,
ersch. Nov. 2025,
400 S., 15,99 Euro

Über den Autor / die Autorin

Hülya Bilgisayar
Hülya Bilgisayar
Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.

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