Emotionale KI nimmt einen immer wichtigeren Platz in unserem Alltag an –
Gefühle sind vielleicht sogar zur wichtigsten Schnittstelle zwischen Mensch und Technik überhaupt avanciert.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Ein Lächeln im Chatfenster, ein tröstender Satz aus dem Lautsprecher, ein digitaler Gesprächspartner, der scheinbar zuhört, versteht und Anteil nimmt. Künstliche Intelligenz spricht nicht nur unsere kognitive, sondern zunehmend auch unsere emotionale Welt an. Doch was heißt es, wenn Maschinen Gefühle zeigen – und was, wenn wir darauf reagieren?
In ihrem Buch Gefühle der Zukunft wirft die Philosophin Eva Weber-Guskar einen scharfsinnigen, sachlich fundierten und zugleich grundlegend menschlichen Blick auf ein Thema, das bisher oft entweder technikverliebt oder kulturpessimistisch behandelt wird: die emotionale KI. Dabei geht es nicht nur um Algorithmen, sondern um uns selbst – um unsere Art zu fühlen, zu kommunizieren, zu vertrauen.
Von Sprachmodellen zu Stimmungsmaschinen
Ausgangspunkt des Buches sind aktuelle Entwicklungen rund um ChatGPT, LaMDA und Co. Diese Systeme wirken auf den ersten Blick nüchtern: Sie beantworten Fragen, schreiben Texte, liefern Informationen. Doch wer länger mit ihnen interagiert, bemerkt etwas anderes – einen Hauch von Persönlichkeit, vielleicht sogar von Empathie. Nicht, weil die Programme wirklich fühlen, sondern weil sie sprachlich Emotionen simulieren.
Eva Weber-Guskar nähert sich dieser Grenzlinie mit philosophischer Nüchternheit und zugleich mit Neugier: Was unterscheidet echtes Fühlen von maschineller Imitation? Und spielt diese Unterscheidung überhaupt noch eine Rolle, wenn wir als Nutzerin oder Nutzer ohnehin emotional reagieren?
Was ist Affective Computing – und wo begegnet er uns?
Weber-Guskar führt den Begriff des Affective Computing ein, der aus der Informatik stammt. Gemeint ist die technische Fähigkeit, Emotionen zu erkennen, zu simulieren oder gezielt hervorzurufen – etwa durch Gesichtserkennung, Sprachmuster oder Berührungsfeedback. Längst ist diese Technik Teil unseres Alltags: in Pflegerobotern, in emotionalen Sprachassistenten oder in KI-Coaches.
Dabei geht es nicht nur um technische Machbarkeit, sondern auch um ethische Fragen: Wer trägt Verantwortung für emotionale Bindungen an Maschinen? Welche Folgen hat es, wenn Gefühle zur Schnittstelle zwischen Mensch und Technik werden?
Philosophie trifft Technikfolgenabschätzung
Weber-Guskars Ansatz ist interdisziplinär, aber nie beliebig. Sie bringt ihre Expertise aus der Philosophie – insbesondere aus der Emotions- und Ethikforschung – in einen Kontext ein, der oft von Ingenieuren und Informatikerinnen geprägt ist. Ihre Stärke liegt darin, abstrakte Fragen konkret zu machen: Wie verändert sich unsere Vorstellung von Empathie, wenn sie technisch nachgebildet werden kann? Ist es moralisch verwerflich, sich in eine Chat-KI zu verlieben? Und kann ein Roboter Trost spenden – auch wenn er gar nicht weiß, was Trauer ist?
„Die Frage, ob Maschinen fühlen können, ist weniger entscheidend als die Frage, was ihr angebliches Fühlen mit uns macht.“, schreibt Weber-Guskar an zentraler Stelle. Und weiter: „Wir müssen nicht nur über KI reden, sondern über den Menschen, der mit ihr spricht.“
Zwischen Faszination und Verantwortung
Das Buch lebt von seiner Balance: Es ist technikaffin, ohne Technik zu verklären. Es nimmt Sorgen ernst, ohne Angst zu schüren. Und es argumentiert klar, ohne sich in Fachbegriffen zu verlieren. Besonders eindrucksvoll sind die Passagen, in denen Weber-Guskar mögliche Zukunftsszenarien durchspielt – etwa in der Altenpflege, in der Psychotherapie oder im Bildungswesen.
Dabei wird deutlich: Die größte Herausforderung liegt nicht in der Entwicklung immer perfekterer Simulationen, sondern im Umgang mit ihnen. Welche Rolle darf eine Maschine in zwischenmenschlichen Beziehungen spielen? Wie vermeiden wir emotionale Manipulation? Und welche Art von Nähe wollen wir überhaupt zulassen?
Ein Buch zur richtigen Zeit
Mit Gefühle der Zukunft ist Eva Weber-Guskar ein philosophisch reflektierter, aber auch alltagstauglicher Beitrag zur aktuellen KI-Debatte gelungen. Sie schreibt klug, präzise und mit einem feinen Gespür für gesellschaftliche Dynamiken. Wer sich für Ethik, Technologie und die Zukunft menschlicher Beziehungen interessiert, wird dieses Buch nicht nur lesen, sondern mit anderen darüber sprechen wollen.
Denn am Ende bleibt eine zentrale Erkenntnis: In einer Welt voller gefühlvoller Maschinen kommt es umso mehr darauf an, was wir unter Menschlichkeit verstehen – und wie wir sie schützen.
![]() | Eva Weber-Guskar, Gefühle der Zukunft Wie wir mit emotionaler KI unser Leben verändern Ullstein Verlag Erschienen am 1.8.2024 Seiten, 23,99 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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