„Ein Großteil der traditionellen afrikanischen Geschichten sind in gewisser Weise Fantasy, seien es unsere Volksmärchen oder unsere Kreaturen“, so Ivana Akotowaa Ofori. Ihre Novelle „Jahr der Rückkehr“ ist in einem ähnlichen Schwebezustand angesiedelt.
(Bild: Coverdetail/InterKontinental)
Als die ghanaische Regierung 2019 das „Year of Return“ ausrief, sollte es ein Fest der Versöhnung werden – eine symbolische Rückkehr für Millionen von Menschen in der afrikanischen Diaspora, eine Reminiszenz an 400 Jahre transatlantischen Sklavenhandel. Doch in Ivana Akotowaa Oforis gleichnamiger Novelle – „Jahr der Rückkehr“ in der deutschen Übersetzung – kehren nicht nur Touristinnen und Touristen zurück, sondern auch jene, deren Geschichte oft übergangen wurde: die Geister der im Atlantik Ertrunkenen. Was folgt, ist eine ebenso poetische wie verstörende Erzählung über Erinnerung, innere Unruhe und das berunruhigend Unabgeschlossene.
Ein Heimflug wird zur Schwelle zwischen den Welten
Im Dezember 2019 kehrt Adwapa, eine ghanaische Journalistin, die in den USA lebt, nach Accra zurück. Für sie ist es zunächst eine Reise zu den eigenen Wurzeln –doch der Heimflug wird zu einer Passage in eine andere Realität. Der Ozean, Zeuge unzähliger Gräuel, beginnt sich zu regen. Aus seinen Tiefen steigen die Geister der Ertrunkenen empor – rastlose Seelen, die den Transport mit dem Sklavenschiff nicht überlebten. Sie kehren nicht zurück, um zu versöhnen, sondern um zu erinnern – und zu stören.
Mythisch, politisch, poetisch – ein literarischer Hybrid
„Das Jahr der Rückkehr“ist keine klassische Erzählung – vielmehr ein hybrid angelegter Riss durch die Zeit. Ofori verwebt Journalismus und Magie, Spiritualität und Trauma, Mythos und Gegenwart. Die Grenzen zwischen Leben und Tod, Wirklichkeit und Vision verschwimmen. Die Geister fordern Gerechtigkeit – mit Nachdruck.
Ivana Akotowaa Ofori versteht es, die koloniale Vergangenheit nicht passiv-museal, sondern lebendig-widerständig zu erzählen. Ihr Text ist durchdrungen von oralem Erzählgestus, von der Rhythmik des Spoken Word, von den Schatten westafrikanischer Götter und Geschichten. Die Spinne – Sinnbild der Weisheit in der Akan-Kultur – ist ihr Totemtier, und man merkt: Hier schreibt eine, die sich spielerisch durch Netze aus Erinnerung und Widerstand bewegt.
Kollektive Erinnerung als spirituelles Tribunal
Die literarische Wiederkehr der Verlorenen ist mehr als ein erzählerischer Trick – sie ist Ausdruck eines politischen und spirituellen Anspruchs. Was wurde denn auch je aufgearbeitet? Wer hat je wirklich zugehört? Das “Jahr der Rückkehr”, so scheint Ofori zu sagen, darf kein Tourismus des guten Gewissens sein. Es ist vielmehr ein Tribunal, das aufrüttelt – und keinen Schlusstrich zieht.
Adwapa pendelt zwischen den Welten – geographisch, kulturell, spirituell. Inmitten ritueller Umzüge, vibrierender Nächte und unheimlicher Vorzeichen beginnt sie, sich selbst neu zu sehen – als Erbin, Beobachterin und Teil einer größeren Geschichte.
Eine Stimme, die gehört werden will
Ivana Akotowaa Ofori, geboren in Ghana und vielfach veröffentlicht in internationalen Literaturzeitschriften, zählt zu einer neuen Generation afrikanischer Autorinnen, die ihre Geschichten weder dem Westen noch der Tradition verpflichtet wissen – sondern der poetischen Wahrheit in all ihrer Vielschichtigkeit. Ihre Prosa ist ein Ruf aus der Tiefe, ein literarischer Akt der Rückeroberung verlorener Geschichte(n). Dass Ofori das im Juli 2025 stattfindende African Book Festival in Berlin kuratiert, passt zur fantastischen Novelle „Jahr der Rückkehr“ übrigens perfekt – denn das Festival-Motto lautet: „In Other Wor(l)ds“.
![]() | Ivana Akotowaa Ofori Das Jahr der Rückkehr. InterKontinental Verlag Ersch. 16.07.2025 100 Seiten, 17,00 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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