Am Mangel an Ideen wird unsere Demokratie nicht scheitern – viel bedrohlicher ist der fehlende politische Wille, Probleme wie die wachsende Ungleichheit anzugehen.
(Bild: Coverdetail/C.H. Beck)
Wenn ein Ökonom aus Paris und ein Moralphilosoph aus Harvard zusammentreffen, um über die Zukunft der Welt zu sprechen, darf man Substanz erwarten – und kluge Reibung. In ihrem gemeinsamen Buch Die Kämpfe der Zukunft führen Thomas Piketty und Michael Sandel ein dialogisches Denkexperiment, das ebenso tiefschürfend wie zugänglich ist. Sie reden über Ungleichheit, Demokratie, Kapitalismus – und über die Frage, wie ein gerechteres Morgen aussehen könnte.
Zwei Denker, eine Mission
Thomas Piketty, bekannt durch Das Kapital im 21. Jahrhundert, zählt zu den profiliertesten Ökonomen unserer Zeit. Seine Arbeiten haben die Debatte über Reichtumsverteilung und progressive Besteuerung weltweit beeinflusst. Michael Sandel wiederum gilt als moralisches Gewissen der USA. Mit seinem Buch Was man für Geld nicht kaufen kann wurde er auch außerhalb akademischer Kreise bekannt.
In ihrem neuen Buch verbinden sie ihre Perspektiven zu einem gemeinsamen Appell: Gerechtigkeit ist nicht nur eine Frage der Ökonomie, sondern auch der Werte. Was ist Wohlstand wert, wenn er nicht geteilt wird? Und wie kann Demokratie überleben, wenn sie von Märkten dominiert wird?
Gleichheit braucht Grenzen
Ein zentraler Punkt ihrer Analyse ist die Notwendigkeit klarer Regeln für Märkte und Vermögen. Beide fordern höhere Steuern für Superreiche und eine Politik, die Bildung, Gesundheit und soziale Teilhabe ins Zentrum stellt. Piketty betont die strukturellen Ungleichheiten des Kapitalismus, Sandel ergänzt die moralische Dimension: Wer sich nur über Leistung definiert, verliert das Gemeinwohl aus dem Blick.
Gemeinsam argumentieren sie, dass Demokratie nicht am Mangel an Ideen scheitert, sondern an fehlendem politischen Willen. Der Aufstieg der Rechten, so ihre Analyse, ist oft die Folge von Entfremdung und erlebter Ungerechtigkeit – nicht von ideologischer Überzeugung.
Klimakrise als Gerechtigkeitsfrage
Auch der Klimawandel spielt im Buch eine zentrale Rolle – jedoch nicht als rein ökologisches Problem. Für Piketty und Sandel ist der Umgang mit der Erderwärmung vor allem eine Frage globaler Verteilungsgerechtigkeit. Die wohlhabenden Staaten tragen die größte Verantwortung und sollten daher auch die größten Lasten schultern. Das Argument: Wer mehr zur Krise beigetragen hat, muss mehr zur Lösung beitragen.
Linke Strategien, rechte Gegner
Besonders lesenswert ist das Kapitel über den Zustand der politischen Linken. Beide Autoren kritisieren, dass sozialdemokratische Parteien zu technokratisch und marktgläubig geworden sind – und dadurch ihre Kernwählerschaft verloren haben. Statt Identitätspolitik und Wettbewerbsrhetorik brauche es wieder klare Programme für soziale Sicherheit und demokratische Teilhabe.
Der Aufstieg des Nationalismus sei kein Naturgesetz, sondern die Folge verpasster Chancen. Hoffnung schöpfen Piketty und Sandel aus Bewegungen von unten, aus lokalen Initiativen und der Rückbesinnung auf politische Bildung.
Ein Gespräch, das weitergeht
Die Kämpfe der Zukunft ist keine leicht verdauliche Lektüre – aber eine lohnende. Es ist ein Gespräch zweier brillanter Köpfe, das dazu einlädt, mitzudenken und mitzudiskutieren. Die große Stärke des Buches liegt darin, dass es konkrete politische Forderungen mit philosophischer Tiefenschärfe verbindet. Es zeigt: Gerechtigkeit ist keine Utopie, sondern beginnt bereits mit der konkreten Einsicht, dass sich etwas ändern muss.
![]() | Thomas Piketty, Michael J. Sandel, Die Kämpfe der Zukunft. Gleichheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert Verlag C.H. Beck, erschienen am 23. Mai 2024, 208 Seiten, 24,00 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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