Als Meng Wanzhou, Finanzchefin von Huawei und Tochter des Firmengründers Ren Zhengfei, im Dezember 2018 in Kanada verhaftet wird, kocht die Weltpolitik über. Auf den ersten Blick geht es um eine einzelne Managerin, auf den zweiten um viel mehr: um Technologie, Spionage, Wirtschaftsmacht und den wachsenden Systemkonflikt zwischen China und dem Westen. In House of Huawei zeichnet die „Washington Post“-Reporterin Eva Dou die Geschichte hinter dem chinesischen Tech-Giganten nach – und liefert damit nicht nur ein Firmenporträt, sondern auch ein Psychogramm der neuen Weltordnung.
Ein Weltkonzern mit doppeltem Boden
Huawei ist kein gewöhnliches Unternehmen. In wenigen Jahrzehnten hat sich der Konzern von einem kleinen Telekommunikationsanbieter zum globalen Machtfaktor hochgearbeitet – mit Innovationskraft, staatlicher Rückendeckung und einer Unternehmenskultur, die an eine Mischung aus Familienbetrieb und Militärkaserne erinnert. Eva Dou gelingt es, diesen Mikrokosmos so präzise wie lebendig zu schildern. Sie beschreibt ein Unternehmen, das sich nach außen modern und leistungsorientiert gibt – und im Innern von Loyalität, Disziplin und nationalem Sendungsbewusstsein geprägt ist.
Zugleich zeigt sie, wie eng Huawei mit Chinas politischer Agenda verflochten ist. Der Konzern ist mehr als ein Lieferant von Smartphones und 5G-Antennen – er ist ein Vehikel für Einfluss, Daten und Kontrolle. Was Huawei tut, sagt sie, sagt immer auch etwas über das System Xi Jinping aus.
Menschen hinter Maschinen
Was das Buch besonders macht: Es erzählt nicht nur von Märkten, Geräten und Strategien, sondern von den Menschen hinter dem Unternehmen. Von Ren Zhengfei, dem Gründer, der aus der Armee kam und Huawei wie eine Mischung aus Vaterfigur und Patriarch leitet. Von Mitarbeitern, die stolz auf ihre Rolle im globalen Wettbewerb sind – und zugleich unter dem enormen Leistungsdruck leiden. Und von Meng Wanzhou, die zum Symbol einer geopolitischen Zerreißprobe wurde, in der plötzlich Familiengeschichte und Weltgeschichte kollidierten. Dou führt ihre Leserinnen und Leser dabei durch Werkstore, Gerichtssäle und diplomatische Hinterzimmer. Sie verbindet Wirtschaftsanalyse mit investigativer Recherche, erzählt packend und pointiert – und bleibt dabei immer nah an den handelnden Personen.
Ein Konzern als Brennglas der Zeitenwende
House of Huawei ist mehr als die Chronik eines Tech-Unternehmens. Es ist ein Lehrstück darüber, wie sehr Technologie und Geopolitik heute miteinander verwoben sind. Wer wissen will, warum der Westen Huawei fürchtet, warum Peking auf diesen Konzern setzt – und welche Widersprüche sich hinter dem glatten PR-Lächeln verbergen – findet in diesem Buch tiefe Einblicke.
Die Zukunft made in China?
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Huawei ist nicht nur ein Unternehmen, sondern ein Symbol. Für Chinas Aufstieg, für westliche Ängste, für die technologische Zeitenwende, in der alte Gewissheiten ins Wanken geraten. Eva Dous Buch liefert keine einfachen Antworten – aber es zeigt, dass die entscheidenden Fragen nicht in der Cloud liegen, sondern auf dem Boden der Realität: Wer kontrolliert die Netze? Wer beherrscht die Technik? Und wessen Regeln gelten in der digitalen Welt von morgen? House of Huawei ist somit eine aufschlussreiche Lektüre für alle, die verstehen wollen, wie sehr unsere Gegenwart von den Konflikten der Zukunft geprägt ist.
![]() | Eva Dou, House of Huawei: Inside the Secret World of China’s Most Powerful Company Penguin, erschienen Jan. 2025, 448 S., 14,99 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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