Manchmal trügt der Schein: Apps und Bezahlkarten sind nur „einfach“, solange das dahinter stehende System auch nahtlos funktioniert.
(Bild: Cover/Wiley Verlag)
Manchmal sagt ein simpler Schein mehr über unsere Gesellschaft aus als tausend digitale Transaktionen. Während Apps wie Venmo oder Alipay den Zahlungsverkehr immer bequemer gestalten, warnt Jay L. Zagorsky eindringlich vor einer Welt ohne Bargeld. In seinem Buch The Power of Cash entwirft der Ökonom ein kluges Plädoyer für Scheine und Münzen – und gegen ein allzu naives Vertrauen in die digitale Zahlungsinfrastruktur.
Vom Verschwinden eines vertrauten Begleiters
Bargeld, das war einmal der Inbegriff von Freiheit – und ist es, laut Zagorsky, noch immer. Doch inzwischen verschwindet es vielerorts still und leise aus dem Alltag: In Bussen wird nicht mehr mit Kleingeld gezahlt, kleine Geschäfte hängen „Nur Kartenzahlung“-Schilder ins Fenster. Was bequem scheint, hat laut dem ehemaligen Berater der Boston Federal Reserve auch Schattenseiten. Der Übergang zur digitalen Kasse sei nicht nur eine technologische, sondern vor allem eine gesellschaftspolitische Weichenstellung.
Privatsphäre im Ausverkauf
Zagorsky zeigt auf, wie Bargeld eine der letzten Bastionen persönlicher Freiheit ist. Wer mit Karte zahlt, gibt Daten preis – an Banken, Tech-Konzerne und mitunter auch an Staaten. „Cash keeps your secrets“, könnte das heimliche Motto des Buches sein. Es geht um mehr als Bequemlichkeit – es geht um die Kontrolle über das eigene Leben. Ohne Bargeld, so warnt Zagorsky, könne jeder Einkauf Teil eines durchleuchtbaren Datenprofils werden. Ein realer Verlust von Anonymität – mit potenziell gefährlichen Konsequenzen.
Wenn Armut kontaktlos wird
Besonders eindrücklich ist Zagorskys Blick auf soziale Gerechtigkeit. Nicht alle Menschen haben Zugang zu Bankkonten oder digitalen Zahlungsformen – Obdachlose, Geflüchtete, Menschen ohne Smartphone. Für sie ist Bargeld kein Anachronismus, sondern Überlebensmittel. Der Ökonom verweist auf Studien, die zeigen, wie digitale Exklusion soziale Spaltung verschärft. „Ohne Bargeld werden die Unsichtbaren noch unsichtbarer“, ist seine ernüchternde Diagnose.
Krisenwährung in stürmischen Zeiten
Doch nicht nur gesellschaftlich, auch geopolitisch hält Zagorsky das Bargeld für systemrelevant. In Zeiten von Klimakatastrophen, Cyberangriffen oder Kriegen könne es zum Rückgrat eines handlungsfähigen Staates werden. Denn wenn Strom und Internet versagen, ist der 20-Dollar-Schein oft mehr wert als jede App. Eine bargeldlose Gesellschaft sei „anfälliger für Störungen, als wir glauben“, schreibt Zagorsky – und gibt damit zu bedenken, wie fragil digitale Systeme in Extremsituationen sein können.
Ein Appell zwischen den Zeilen
The Power of Cash ist mehr als eine Verteidigung der Geldbörse – es ist ein Appell an unsere Vorstellung von Freiheit, Gleichheit und Sicherheit. Zagorsky schreibt klar, faktenreich und mit spürbarem Engagement. Sein Buch richtet sich an alle, die bezahlen – also an uns alle. Und es stellt eine unbequeme Frage: Was geben wir auf, wenn wir das Bargeld aufgeben?
Für Jay Zagorsky ist die Antwort klar. Und sie klingt wie eine Mahnung: Wer kein Bargeld mehr hat, hat womöglich bald auch kein Rückgrat mehr.
![]() | Jay L. Zagorsky, The Power of Cash: Why Using Paper Money is Good for You and Society Wiley Verlag, ersch. April 2025, 384 S., 26,99 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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