[Buchtipp] Anachronistischer Sommer mit Commander Gore: Kaliane Bradleys Roman „Ministerium der Zeit“

[Buchtipp] Anachronistischer Sommer mit Commander Gore: Kaliane Bradleys Roman „Ministerium der Zeit“

Das Love-Interest stammt ausgerechnet aus der TV-Serie „The Terror“, einer Verfilmung des gleichnamigen Mystery-Thrillers von Dan Simmons.

(Bild: Cover/Penguin Verlag)


Kaliane Bradleys Debütroman „Ministerium der Zeit“ verbindet Zeitreise-Plot, Bürokratie-Satire und eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Eine junge Beamtin soll einen Polarforscher aus dem 19. Jahrhundert ins heutige London integrieren – doch bald verschwimmen die Grenzen zwischen Pflicht und Gefühl, zwischen gestern und morgen.


Ein Mann aus Eis, eine Frau ohne Namen

Als Commander Graham Gore eines Morgens in London ankommt, ist er eigentlich schon seit 1847 tot. Er war Teil von Sir John Franklins legendärer „Lost Expedition“, die die Nordwestpassage durch das kanadische Polarmeer finden sollte – ein vergebliches Vorhaben, das unter mysteriösen Umständen im ewigen Eis endete. Gore gilt als verschollen, wie der Rest der Mannschaft. Doch im Debütroman von Kaliane Bradley taucht er wieder auf – nicht als Gespenst, sondern als „zeitlich Dislozierter“, versetzt vom 19. ins 21. Jahrhundert.

Empfangen wird er von einer jungen Beamtin ohne Namen, zuständig für die Eingliederung von Zeitreisenden im „Ministerium der Zeit“. Willkommen in einer Welt voller Glasfassaden, Genderdebatten und Duschköpfen. Willkommen im Roman einer Autorin, die Science-Fiction, Staatsdienst und Sinnsuche auf überraschende Weise vereint.

Kuschelsommer mit Kafka-Twist

Die Erzählerin, britisch-kambodschanischer Herkunft wie Bradley selbst, tritt ihren neuen Job in einem schwülheißen Londoner Sommer an. Sie soll Gore helfen, sich an die Moderne zu gewöhnen: an Spotify, an das Sozialsystem, an das Fehlen imperialer Gewissheiten. Zwischen WG-Küche, Sprachbarrieren und Dienstprotokollen entwickelt sich langsam eine Nähe, die nicht vorgesehen war. Doch das Ministerium – halb Behörde, halb Überwachungsapparat – beobachtet jedes Wort, jeden Blick.

Science-Fiction trifft Staatsdienst

Die Idee zu „The Ministry of Time“ entstand während der Pandemie. Inspiriert von der Serie The Terror, in der Gore eine Nebenfigur ist, begann Bradley fiktive Episoden zu schreiben, in denen der Offizier auf moderne Absurditäten stößt – erst für Freunde, dann als Roman. Das Ergebnis ist keine klassische Zeitreisegeschichte mit Bombast und Paradoxien, sondern ein feinsinniges Kammerspiel über Dislokation, Macht und Zugehörigkeit.

Lautes Debüt mit leisen Zwischentönen

Das Publikum liebt es – von Goodreads bis zur BBC, die bereits eine Serienadaption angekündigt hat. „Ein lautes Debüt“, schreibt der Literary Review, eine „witzige, nachdenkliche Liebesgeschichte“, ergänzt die Los Angeles Times. Und tatsächlich: Bradleys Roman lebt nicht vom großen Spektakel, sondern von stillen Momenten – wenn Gore einem Toaster misstraut oder mit ungefiltertem Staunen die Gegenwart betritt.

Gestrandet zwischen zwei Zeiten

Ob Vergangenheit und Gegenwart je wirklich zueinanderfinden können, bleibt fraglich. Was bleibt, ist ein Roman über Menschen, die sich im Zeitstrom verlieren und neu begegnen – mit Humor, Melancholie und einem feinen Gespür für das Politische im Persönlichen. Kaliane Bradley gelingt mit „Ministerium der Zeit“ ein literarischer Zeitsprung, der bleibt.

Kaliane Bradley,
Das Ministerium der Zeit.
ersch. April 2025

Penguin Verlag,
384 S., 24,00 Euro

Über den Autor / die Autorin

Hülya Bilgisayar
Hülya Bilgisayar
Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.

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