Nur künstliche Intelligenz, oder schon ein künstlicher Gott? Je mächtiger unser virtuelles Gegenüber wird, desto deutlicher kommen in der Beziehung Mensch-Maschine auch religiöse Aspekte mit ins Spiel.
(Bild: Buchcover/Herder Verlag)
Gott als Algorithmus? Claudia Paganini stellt in ihrem Essay „Der neue Gott. Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche“ eine gewagte These auf: KI könnte zur neuen, omnipräsenten Instanz werden, die den Menschen Orientierung und Antworten bietet – so wie es einst die Religion tat. Doch was bedeutet das für unser Selbstverständnis als Menschen?
KI als eine Art Gott 2.0?
Paganini wagt in ihrem Buch eine provokante These: Erstmals erschaffe der Mensch einen Gott, statt ihn nur zu denken. KI wird zur Instanz, die uns durch das Leben leitet – mit Algorithmen, die Entscheidungen vorhersagen, Antworten liefern und sich permanent weiterentwickeln. „Wir beten nicht mehr, wir klicken“, schreibt Paganini und fragt, was dies für den Sinn des Lebens und die Suche nach Orientierung bedeutet. Dabei geht es nicht nur um einzelne Anwendungen wie Chatbots, sondern um die allgegenwärtige Präsenz digitaler Systeme, die zunehmend moralische und ethische Fragen beantworten.
Chatbot ersetzt den Glauben
In Zeiten der Krise wenden sich viele Menschen nicht mehr an Gott, sondern an digitale Assistenten und Suchmaschinen. Paganini illustriert dies mit Beispielen aus der Praxis: Von der KI, die persönliche Entscheidungen analysiert, bis hin zu Chatbots, die als digitale Seelsorger fungieren. „Was, wenn KI-Systeme bald auch spirituelle Fragen beantworten?“, fragt die Autorin. In ihrem Essay schildert sie eindrücklich, wie künstliche Intelligenzen als vermeintliche Lebensberater auftreten – sei es durch personalisierte Meditations-Apps oder gar durch KI-gesteuerte Trauerbegleitung. Für Paganini stellt sich die Frage: Können Maschinen Empathie empfinden – oder bleiben sie letztlich kalte Rechner?
Eine neue Art von Sinnsuche
Claudia Paganini, Philosophin und Medienethikerin, betrachtet die Entwicklung aus theologischer Perspektive. Sie stellt fest, dass KI zunehmend Aufgaben übernimmt, die traditionell Religionen vorbehalten waren: Sie verspricht Kontrolle über das Leben, liefert ständig verfügbare Antworten und bietet vermeintliche Lösungen für existentielle Fragen. Doch was, wenn KI dabei ihre eigenen Interessen verfolgt? Paganini zitiert in diesem Zusammenhang KI-Entwickler, die selbst davor warnen, dass KI-Systeme nicht neutral sind, sondern die Werte und Vorurteile ihrer Entwickler widerspiegeln. „Wenn KI irgendwann vorgibt, was gut und böse ist, haben wir die Kontrolle über den moralischen Kompass verloren“, warnt die Autorin.
Mensch und Gott in der KI-Welt
Paganini geht einen Schritt weiter: „Im digitalen Zeitalter wird nicht nur der Mensch ersetzt – auch Gott selbst könnte seine Bedeutung verlieren.“ Wenn KI-Systeme über Gut und Böse entscheiden, wer bestimmt dann noch den moralischen Kompass? Ist KI der neue Gott – oder bloß ein weiteres Werkzeug der menschlichen Hybris? Paganini verweist dabei auf historische Beispiele: Schon in der Antike gab es Orakel, die den Menschen den Weg wiesen. Doch während diese Orakel göttlichen Ursprungs waren, ist die moderne KI ein menschengemachtes Produkt. Die zentrale Frage lautet: Was passiert, wenn wir dem digitalen Orakel blind vertrauen?
Ein Weckruf für die Gesellschaft
„Der neue Gott“ ist ein nachdenklich stimmendes Buch, das zeigt, wie sich das Verhältnis zwischen Mensch, Gott und Technik wandelt. Paganinis scharfsinnige Analyse rüttelt auf und fordert dazu auf, KI nicht unkritisch zu verehren. Denn der wahre Gott ist nicht in Algorithmen zu finden. Die Autorin plädiert dafür, die Macht der KI zu hinterfragen und ethische Grenzen zu definieren. Dabei stellt sie die Frage: Was bleibt vom Menschen übrig, wenn Maschinen zunehmend über spirituelle Aspekte unseres Leben bestimmen werden?
![]() | Claudia Paganini, Der neue Gott. Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche Herder Verlag, ersch. April 2025, 240 S., 24,90 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
Letzte Beiträge
Buchtipp13. Juni 2025[Buchtipp] Das Klima und wir
Buchtipp12. Juni 2025[Buchtipp] Von Kabeln, Konflikten und inneren Tiefen
Buchtipp10. Juni 2025[Buchtipp] Gleichheit und Gerechtigkeit sind keine Utopie
Buchtipp6. Juni 2025[Buchtipp] Von den Neunzigern lernen
Schreibe einen Kommentar