[Buchtipp] Das Erbe der Ungleichheit

[Buchtipp] Das Erbe der Ungleichheit

Vom Tellerwäscher zum Millionär? Das passiert heutzutage kaum noch: wer reich ist, wurde meist schon reich geboren. Die „unverdiente Ungleichheit“, so zeigt Martyna Linartas, untergräbt auf Dauer die Basis unserer Demokratie. (Bild: Buchcover/Rowohlt Verlag)


Wenn Kinder reich geboren werden, weil sie das richtige Elternhaus haben, dann ist das nicht nur ein Privileg. Es ist ein strukturelles Problem. In Unverdiente Ungleichheit nimmt die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Martyna Linartas die deutsche Erbengesellschaft unter die Lupe – präzise, unerschrocken und faktenreich. Die Autorin fragt nicht nur, wie es so weit kommen konnte, dass ein Prozent der Bevölkerung über ein Drittel des Nettovermögens verfügt. Sie zeigt auch, was es braucht, um diese Verhältnisse zu verändern.

Vermögen ohne Verdienst

Deutschland gilt als eine der reichsten Industrienationen – und zugleich als eines der Länder mit der ungleichsten Vermögensverteilung. Während Löhne besteuert werden, bleiben Erbschaften weitgehend verschont. Diese „Unverdiente Ungleichheit“, so Linartas, sei der blinde Fleck im deutschen Sozialstaat.

Besonders brisant: Linartas belegt, dass in der Regel nicht etwa unternehmerisches Risiko oder Fleiß über Reichtum entscheiden, sondern familiäre Herkunft. Und: Diese Vermögen wachsen über Generationen hinweg – geschützt durch niedrige Steuersätze und politische Untätigkeit. So ist die Vermögenssteuer etwa seit 1997 ausgesetzt.

Eine Elite schweigt nicht – sie bestimmt mit

Für ihr Buch hat Linartas exklusive Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der wirtschaftlichen Elite geführt. Dabei wird deutlich: Viele Reiche verstehen sich selbst nicht als Teil des Problems – sie sehen ihren Wohlstand als verdient an und verweisen auf wohltätige Stiftungen.

Doch Linartas lässt diese Argumente nicht unkommentiert stehen. Sie zeigt, wie wirtschaftliche Macht politisch genutzt wird – etwa durch Lobbyarbeit, Parteispenden oder den Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren. Dabei bleibt sie sachlich, aber bestimmt: Ungleichheit ist kein Naturgesetz, sondern eine politische Entscheidung.

Demokratie in der Zerreißprobe

Linartas verbindet historische Analyse mit aktuellen Zahlen und entwirft dabei ein beunruhigendes Panorama: Wenn Vermögen weiter konzentriert und politische Mitbestimmung entkoppelt wird von wirtschaftlicher Teilhabe, geraten zentrale demokratische Prinzipien ins Wanken.

In einer pointierten Passage warnt sie vor einem „sozialen Kipppunkt“, an dem der Glaube an Gerechtigkeit und Teilhabe verloren geht. Gerade junge Menschen, so Linartas, spüren diese Schieflage zunehmend – und stellen die Frage nach der Legitimität des Systems.

Ein Plädoyer für politische Veränderung

Doch das Buch bleibt nicht bei der Kritik stehen. Linartas skizziert konkrete Wege aus der Erbengesellschaft: höhere Erbschaftssteuern, eine stärkere Vermögensbesteuerung, mehr Transparenz in Eigentumsverhältnissen. Sie verweist auf internationale Beispiele – etwa Frankreich oder die USA – und argumentiert für einen „neuen Gesellschaftsvertrag“, der Eigentum wieder an Leistung und Gemeinwohlbindung koppelt.

Unverdiente Ungleichheit ist kein moralischer Appell, sondern ein kluges politisches Sachbuch. Es gibt Leserinnen und Lesern das argumentative Rüstzeug, um sich in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft für Gerechtigkeit stark zu machen.


BuchcoverMartyna Linartas:
Unverdiente Ungleichheit.
Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann.
Rowohlt Verlag,
ersch: 15.4.2025
320 Seiten, 24,00 Euro

Über den Autor / die Autorin

Hülya Bilgisayar
Hülya Bilgisayar
Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.

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