Frühere Sci-Fi-Romane von Robinson beschäftigten sich etwa mit Terraforming auf dem Mars in fernerer Zukunft. Diese Climate Fiction dagegen beginnt ganz in der Nähe, im Hier und Jetzt – sie soll eher verhindern helfen, dass wir einen Plan(et) B brauchen. (Bild: Buchover/Penguin)
Der Tod kam mit der Hitze. Indien, 2025: In den Straßen Lucknows kollabieren Menschen, Kühlanlagen fallen aus, es gibt keinen Strom, kein Wasser – nur noch sengende Luft. Kim Stanley Robinson beginnt seinen Roman Das Ministerium der Zukunft mit einem Szenario, das an den Rändern der realen Klimawissenschaft längst diskutiert wird: Eine „feucht-heiße“ Katastrophe, bei der der menschliche Körper nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu kühlen. Hunderttausende sterben.
Klimakrise als Weltpolitik
Was in einem erbarmungslosen Hitze-Realismus beginnt, wächst sich aus zu einem monumentalen globalpolitischen Roman. Robinson, Jahrgang 1952, vielfach ausgezeichnet und bekannt durch seine Mars-Trilogie, entwirft in The Ministry for the Future – so der Originaltitel – keine ferne Zukunft, sondern eine sich abzeichnende Realität. In Genf wird nach der indischen Tragödie ein fiktives UN-Gremium mit Sondervollmachten ausgestattet: das „Ministerium für die Zukunft“. Geleitet von Mary Murphy, einer irischen Diplomatengestalt mit kühlem Pragmatismus, soll es dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert – durch politische Innovation, ökonomische Steuerung und notfalls durch radikale Maßnahmen.
Zwei Sichtweisen auf eine Katastrophe
Der Roman lebt vom Spannungsfeld zwischen Murphy und Frank May, einem Überlebenden des indischen Infernos. Während May von Wut und Trauma getrieben wird – bis hin zu terroristischen Fantasien gegen die Profiteure der Klimakrise –, bleibt Murphy dem diplomatischen Weg verpflichtet. Doch auch sie beginnt, mit Mitteln zu operieren, die an die moralischen Ränder globaler Politik führen: geheime Finanzoperationen, geoengineering, psychologische Kriegsführung gegen Klimaleugner. Robinson inszeniert diese moralischen Grauzonen mit einer Nüchternheit, die seinen Roman gerade deshalb so beklemmend macht.
Frank May steht dabei sinnbildlich für eine ganze Generation von Klimaverzweifelten. Seine Figur changiert zwischen Opfer, Ankläger und letztlich informeller Mitstreiter – in einem System, das sich nur langsam bewegt, aber sich dennoch bewegt. Murphy hingegen bleibt in ihrer Rolle als Vertreterin einer multilateralen Ordnung gefangen – und muss sich dennoch fragen, ob die Regeln der alten Welt in einer kollabierenden Welt noch gelten.
Potpourri aus Politik, Physik, Philosophie
Formal changiert Das Ministerium der Zukunft zwischen Thriller, Bericht, Debattenbuch und Science-Fiction-Epos. Robinson lässt nicht nur seine Hauptfiguren sprechen, sondern auch Ökonomen, Wissenschaftlerinnen, Banker, anonyme Kollektive. Das Buch ist durchzogen von Fakten, Theorien, Diskursfragmenten – wie ein literarisches IPCC-Protokoll. Was dabei entstehen kann, ist mitunter sperrig, aber eindrucksvoll: ein multiperspektivisches Mosaik über die vielleicht größte Herausforderung der Menschheit.
Der Roman durchmisst dabei Themenfelder wie Geoengineering, Blockchain-Finanzsysteme, Klimareparationen, Flüchtlingspolitik und den Umbau des globalen Kapitalismus. Robinsons Stärke liegt darin, auch komplexeste Ideen so in Szene zu setzen, dass sie Teil der erzählerischen Struktur bleiben – ohne sich in Fachsimpelei zu verlieren.
Vision ohne Heilsversprechen
Robinson ist weder ein Apokalyptiker noch ein Schönredner. In seinem Roman stirbt der Planet nicht – aber er verändert sich drastisch. Der Weg dorthin führt durch Ambivalenzen, Opfer und ethische Dilemmata. Technische Lösungen werden ebenso erkundet wie zivilisatorische Grenzen. Dabei bleibt der Roman seltsam hoffnungsvoll: Weil Menschen handeln, wenn sie müssen. Weil Systeme sich verändern können – manchmal schneller, als gedacht.
In der Rückschau wirkt das Buch weniger wie eine Warnung als wie ein Werkzeugkasten: Was wäre möglich – wenn wir wirklich wollten? Und welche Art von Politik müsste die Menschheit erfinden, um nicht nur zu reagieren, sondern zu gestalten?
Fazit: Pflichtlektüre der Klimafiktion
Das Ministerium der Zukunft ist ein Roman, der fordert – intellektuell, politisch, emotional. Er ist ein Mahnmal in Romanform, eine Utopie ohne Erlösung, eine Blaupause für künftige Generationen. Nicht zuletzt zeigt Robinson: Die Zukunft wird nicht von Technik bestimmt. Sondern von Entscheidungen.
![]() | Kim Stanley Robinson, Das Ministerium für die Zukunft Penguin Verlag, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Paul Bär, ersch. 13.09.2023 Paperback, 720 S., 13,00 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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