Solnits Essay „Hope in the Dark“ erschien im Original bereits Anfang des Jahrtausends, doch er scheint besonders gut in die Zeit der multiplen Krisen der 2020er Jahre zu passen.
(Bild: Coverdetail/M&S Verlag)
Es gibt Bücher, die man in ruhigen Zeiten liest – und solche, die man aufschlägt, wenn alles ins Wanken gerät. Hoffnung in der Dunkelheit von Rebecca Solnit gehört zur zweiten Kategorie. Ursprünglich erschienen in den frühen 2000er Jahren, zur Zeit des Irakkriegs und der Anti-Globalisierungsproteste, ist der Essay heute aktueller denn je. Denn er beantwortet eine Frage, die viele umtreibt: Lohnt sich politisches Engagement überhaupt noch – oder ist alles längst entschieden?
Geschichte als Quelle des Möglichen
Solnit stellt diese Frage nicht abstrakt. Sie beginnt bei den Bewegungen, die sie selbst erlebt oder recherchiert hat: die Friedensproteste, die Bürgerrechtsbewegung, die Revolutionen in Osteuropa, den zapatistischen Aufstand in Mexiko. All diese Ereignisse, so Solnit, begannen im Kleinen, waren von Zweifeln begleitet – und entfalteten doch Wirkung.
„Was uns die Geschichte lehrt, ist, dass kollektives Engagement stets Früchte trägt – wenn vielleicht auch andere als ursprünglich erwartet“, schreibt sie. Für Solnit ist Geschichte keine Abfolge von Niederlagen, sondern ein Labor der Möglichkeiten. Wer sie genau betrachtet, erkennt: Wandel geschieht oft überraschend und ist selten das Ergebnis strategischer Planung allein.
Hoffnung jenseits der Gewissheit
Die Autorin, geboren 1961 in Kalifornien, ist bekannt für ihren essayistischen Stil, der persönliche Beobachtungen mit politischer Analyse verbindet. Auch in diesem Buch gelingt ihr der Balanceakt zwischen erzählerischer Tiefe und intellektuellem Anspruch. Hoffnung, so ihre zentrale These, ist kein Gefühl – sie ist eine Handlung. Und sie verlangt, sich auf das Ungewisse einzulassen.
„Die Zukunft“, schreibt Solnit, „liegt im Dunkeln, nicht weil sie düster ist, sondern weil sie ungewiss ist.“ Diese Ungewissheit ist keine Bedrohung, sondern ein Raum der Möglichkeiten. Wer hofft, so Solnit, versucht nicht, die Zukunft zu kontrollieren – sondern sie offen zu halten. Hoffnung ist in diesem Sinne keine naive Erwartung, dass alles gut wird, sondern die Bereitschaft, sich einzumischen, ohne das Ergebnis zu kennen.
Politik als kreativer Prozess
Was Solnits Essay so besonders macht, ist ihr Verständnis von Politik. Es geht ihr nicht um parteipolitische Programme oder klare Sieg-Niederlage-Schemata, sondern um ein prozessuales, schöpferisches Verständnis von Veränderung. Politik ist für sie ein Raum des Tuns – in sozialen Bewegungen, im Alltag, in der Kunst, im Erzählen.
Gerade angesichts zunehmender Polarisierung wirkt dieser Zugang wie ein Gegenentwurf zur politischen Erschöpfung. Wer auf kurzfristige Erfolge fixiert ist, gerät schnell in Zynismus. Solnit dagegen plädiert für eine „langfristige Vorstellungskraft“ – für ein Denken in Generationen, nicht in Legislaturperioden.
Mut machen ohne zu beschönigen
Trotz aller Ermutigung bleibt Solnit realistisch. Sie romantisiert weder Widerstand noch Engagement. Aber sie zeigt, dass politisches Handeln Sinn macht – auch dann, wenn der Ausgang offen bleibt. Ihr Blick ist geschärft für das Nicht-Sichtbare: für die Effekte, die unter der Oberfläche wirken, für die Impulse, die erst später Früchte tragen.
So wird Hoffnung in der Dunkelheit zu einem Buch, das sich nicht nur an Aktivistinnen richtet, sondern an alle, die sich fragen, was sie in einer komplexen Welt bewirken können. Es ist ein Text für Suchende, Zweifelnde, Handelnde. Und ein Aufruf, den Glauben an Möglichkeiten nicht aufzugeben.
Warum dieses Buch jetzt wichtig ist
Zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ist Solnits Essay mehr als ein Zeitdokument. Er ist ein Werkzeugkasten für Gegenwart und Zukunft – für Menschen, die Orientierung suchen, ohne einfache Antworten zu erwarten. Denn, so schreibt Solnit: Hoffnung entsteht nicht im Licht, sondern dort, wo wir anfangen, in der Dunkelheit zu handeln.
![]() | Rebecca Solnit, Hoffnung in der Dunkelheit Unendliche Geschichten, wilde Möglichkeiten Verlag Matthes & Seitz Berlin, Übersetzung: Michael Mundhenk, ersch. 2025, 264 S., 22,00 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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