Schwarze Löcher als Low-Cost-Teilchenbeschleuniger

Schwarze Löcher als Low-Cost-Teilchenbeschleuniger

Lange Bauzeiten und schrumpfende Budgets bremsen die Teilchenphysik aus.

In die Bresche springen könnten Schwarze Löcher, die Materie ins All schleudern.

(Bild: Roberto Molar Candanosa/Johns Hopkins University)


Zu diesem Beitrag gibt es einen Podcast.


Was, wenn das nächste große Teilchenphysik-Experiment nicht in einem Tunnel bei Genf beginnt, sondern im Herzen einer fernen Galaxie? Dort, wo die Schwerkraft Raum und Zeit krümmt, könnten schwarze Löcher mit gewaltiger Wucht liefern, was irdische Forschungseinrichtungen bislang nur erträumen: Hinweise auf dunkle Materie.

Milliarden Dollars für Unsichtbares

Seit Jahren hoffen Forschende, mit Anlagen wie dem Large Hadron Collider (LHC) neue Teilchenarten zu entdecken – vor allem jene, die Aufschluss über das mysteriöse Phänomen der dunklen Materie geben. Doch bislang blieb der große Fund aus. Das ist einer der Gründe, warum derzeit über den Bau eines noch stärkeren Nachfolgers debattiert wird – ein Projekt, das laut Planung 30 Milliarden Dollar kosten und erst in rund 40 Jahren Ergebnisse liefern könnte.

„Eine der großen Hoffnungen für Anlagen wie den LHC ist, dass sie dunkle Materie erzeugen. Aber bisher gibt es keinen Beweis“, sagt Astrophysiker Joseph Silk, Professor an der Johns Hopkins University und der Universität Oxford. „Während wir 30 Milliarden investieren und 40 Jahre warten – könnte die Natur mit supermassiven schwarzen Löchern längst einen Blick in die Zukunft gewähren.“

Schwarze Löcher als kosmische Laboratorien

Der aktuelle Beitrag von Silk und dem theoretischen Physiker Andrew Mummery, erschienen in Physical Review Letters, zeigt: In unmittelbarer Umgebung von schnell rotierenden schwarzen Löchern können extrem energiereiche Prozesse ablaufen – ganz ähnlich wie bei menschgemachten Kollisionen im Teilchenbeschleuniger.

Drehimpuls, Akkretionsscheiben und Plasmastrahlen spielen dabei eine zentrale Rolle. Wenn Materie in Richtung eines schwarzen Lochs gezogen wird, entstehen chaotische Gasströme. Diese können, so die Hypothese, durch die Drehung des Schwarzen Lochs so stark beschleunigt werden, dass es zu Teilchenkollisionen kommt, die mit den Bedingungen im LHC vergleichbar sind.

„Einige dieser Teilchen verschwinden zwar im Schlund des schwarzen Lochs“, erklärt Silk. „Aber andere, die durch Energie und Impuls genügend Schwung bekommen, schießen heraus – mit Energien, die jenen eines Supercolliders entsprechen oder sie sogar übertreffen.“

Spuren am Rande der Welt

Doch wie lassen sich solche Prozesse nachweisen, wenn sie Millionen Lichtjahre entfernt stattfinden? Silk verweist auf bestehende astronomische Observatorien wie das IceCube-Neutrino-Observatorium am Südpol oder das Kilometer Cube Neutrino Telescope unter dem Mittelmeer. Beide messen regelmäßig kosmische Teilchen mit extrem hoher Energie.

„Wenn supermassive schwarze Löcher tatsächlich solche Teilchen erzeugen, könnten wir sie auf der Erde messen – etwa wenn sie durch unsere Detektoren rasen“, sagt Silk. „Das wäre ein Indiz für einen natürlichen Teilchenbeschleuniger innerhalb der rätselhaftesten Objekte des Universums.“

Dabei handelt es sich nicht um exakte Kopien der Kollisionen im Labor. Vielmehr sei es eine Art kosmisches Pendant, das neue Perspektiven eröffnen könnte – etwa auf bislang unbekannte Teilchen oder gar erste Hinweise auf dunkle Materie.

Lückenfüller statt Ersatz

Der aktuelle Vorschlag versteht sich nicht als Abgesang auf Großprojekte wie den LHC oder seinen potenziellen Nachfolger, sondern als Ergänzung. Die komplexe Suche nach den Bausteinen des Universums bleibt auf mehrere Methoden angewiesen. Doch angesichts knapper Forschungsgelder und langwieriger Bauvorhaben sind natürliche „Supercollider“ eine verlockende Option.

„Der Unterschied zwischen einem Supercollider und einem schwarzen Loch ist: Schwarze Löcher sind weit weg“, so Silk. „Aber trotzdem werden uns diese Teilchen erreichen.“

Kosmische Energie aus der Not geboren

Die Idee, Schwarze Löcher als wissenschaftliche Werkzeuge zu betrachten, ist nicht neu – doch die aktuelle Studie liefert einen physikalisch fundierten Pfad, wie ihre Naturkräfte für die Forschung nutzbar gemacht werden könnten. Und sie bringt eine Pointe mit sich: Während auf der Erde um jede Milliarde gerungen wird, toben am Rande des Universums gigantische Experimente – ganz ohne Bauantrag.


Kurzinfo: Schwarze Löcher als Super-Teilchenbeschleuniger

  • Ort des Geschehens: Zentren ferner Galaxien
  • Hauptakteure: Rotierende supermassive Schwarze Löcher
  • Physikalischer Prozess: Kollision beschleunigter Teilchen durch Gravitation und Akkretionsscheiben
  • Ergebnis: Extrem energiereiche Teilchenstrahlen
  • Messung auf der Erde: Über Neutrino-Observatorien wie IceCube oder KM3NeT möglich
  • Potenzial: Hinweise auf neue Teilchen, eventuell dunkle Materie
  • Vorteil: Keine Milliardenkosten, keine jahrzehntelangen Bauzeiten
  • Limitierung: Kein Ersatz für terrestrische Experimente, aber komplementäre Datenquelle
  • Forschungskontext: Ergänzung zu Projekten wie LHC und geplanter Future Circular Collider

Originalpublikation:
Andrew Mummery & Joseph Silk: Black Hole Supercolliders.
In: Physical Review Letters, Band 134, Artikelnummer 221401, erschienen am 3. Juni 2025.
DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.134.221401


Diesen Beitrag kann man auch als Podcast hören.

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Proudly powered by WordPress