Macfarlane, bekannt für seine literarischen Expeditionen ins Reich des Gehens (The Old Ways), der Sprache (Landmarks) oder der Dunkelheit (Underland), widmet sich in diesem neuen Werk einem noch drängenderen Thema: dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur, verkörpert im Fluss.
(Bild: Coverdetail/Ullstein Verlag)
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Manchmal beginnt eine radikale Idee ganz leise – mit dem Plätschern eines Bachs. Für Robert Macfarlane entspringt sie nicht in Theorien, sondern in der Landschaft selbst: ein Kreidelandschafts-Bächlein, das nur eine Meile von seinem Haus entfernt aus dem Boden tritt, wird zum Lebensfaden, zur inneren Richtschnur eines Buchs, das sich als poetischer Feldzug für eine neue Sicht auf die Welt versteht.
In Sind Flüsse Lebewesen? geht es um mehr als Umweltschutz. Es geht um Gerechtigkeit, Vorstellungskraft – und um die Frage, ob ein Fluss ein Recht auf Unversehrtheit haben kann, so wie ein Mensch.
Eine Bewegung nimmt Fahrt auf
Macfarlane, bekannt für seine literarischen Expeditionen ins Reich des Gehens (The Old Ways), der Sprache (Landmarks) oder der Dunkelheit (Underland), widmet sich in diesem neuen Werk einem noch drängenderen Thema: dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur, verkörpert im Fluss.
Inspiriert von der wachsenden Rights of Nature-Bewegung, folgt er Flüssen, die von Aktivistinnen, Künstlern und Juristen als lebendige Wesen verteidigt werden – Wesen, die Rechte haben und nicht länger als Objekte menschlicher Verwertung behandelt werden sollen.
Drei Reisen, ein roter Faden
Das Buch ist entlang dreier großer Flussgeschichten strukturiert: Da ist der Nebelwald im Norden Ecuadors, wo die Wasseradern des Landes durch Goldabbau bedroht sind. Da sind die leidenden Gewässer Südindiens, deren Quellen und Lagunen in einem Überlebenskampf stecken. Und schließlich der wilde Mutehekau, auch bekannt als Magpie River, im Nordosten Québecs – ein Strom, dessen Existenzrecht erfolgreich verteidigt wurde.
Diese Reportagen verwebt Macfarlane mit Reflexionen über Sprache, Mythos, Recht und Spiritualität. Immer wieder taucht er zurück in die Geschichte des kleinen englischen Kreidebachs, der ihn durch Kindheit, Erwachsenenleben und Wandel begleitet.
Zwischen Poesie und Politik
Macfarlane schreibt mit einem erzählerischen Ton, der gleichermaßen berührt und aufrüttelt. Seine Stärke liegt in der Verbindung von persönlicher Erfahrung und philosophischer Tiefe, von literarischer Empfindsamkeit und politischer Schärfe.
Er lässt indische Flusswächter ebenso zu Wort kommen wie kanadische First Nations, zitiert indigene Kosmologien und moderne Öko-Juristinnen – und ruft dazu auf, unseren Begriff von Leben zu erweitern.
Die Zukunft im Fluss
Sind Flüsse Lebewesen? ist ein leidenschaftlicher Appell, Flüsse als Subjekte zu verstehen: nicht nur als Teil der Landschaft, sondern als Mitbewohner. Als Wesen, deren Schicksal untrennbar mit unserem verbunden ist.
Denn, so Macfarlane, die Frage, ob ein Fluss lebt, ist letztlich eine Frage an uns selbst: Sind wir bereit, uns von einer Anthropozentrik zu lösen, die das Leben auf zwei Beine und ein Ego reduziert?
Ein fließender Gedankengang
Das Buch ist keine Antwort, sondern eine Einladung – zum Hinhören, zum Umdenken, zum Mitfließen. Es ist Macfarlanes persönlichstes Buch, weil es nicht nur Flüsse beschreibt, sondern das, was in uns in Bewegung geraten soll: Empathie, Verantwortung, Vorstellungskraft.
Wer nach dem Lesen anders auf ein Flussufer blickt, hat verstanden, was auf dem Spiel steht.
![]() | Robert Macfarlane: Sind Flüsse Lebewesen? Ullstein Verlag, aus d. Englischen von Frank Sievers & Andreas Jandl erschienen 28.05. 2025 416 Seiten, 29,99 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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