Hallo, Hemifusom! Bisher unbekanntes Zellorganell entdeckt

Hallo, Hemifusom! Bisher unbekanntes Zellorganell entdeckt

Organell bedeutet wörtlich: „kleines Organ“ – in unseren Zellen übernehmen sie ähnlich wichtige Aufgaben wie die großen Organe in unserem Körper. Doch anders als zwischen Leber, Lunge und Milz ist im Zellwasser immer noch „Neuland“ zu entdecken. Siehe das Hemifusom – im Mikroskop-Bild mit „HF“ gekennzeichnet.

(Bild: Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-025-59887-9//)


Wer dachte, das Innenleben unserer Zellen sei längst kartiert, wird nun eines Besseren belehrt. Ein internationales Forschungsteam der University of Virginia und der National Institutes of Health hat ein neues Organell entdeckt – und ihm gleich einen Namen gegeben: Hemifusom. Klein, unscheinbar, aber möglicherweise entscheidend für den zellulären Alltag.

Denn was sich im Mikrokosmos der Zelle abspielt, ist ein logistisches Meisterwerk. Überall schwirren Vesikel, winzige Bläschen, die wie Mini-Transporter Moleküle von A nach B befördern. Das Hemifusom scheint dabei eine bislang übersehene Schaltstelle zu sein – ein Ort, an dem sortiert, verpackt und weitergeleitet wird.

Ein Umschlagplatz für die Zelllogistik

Das ist, als würde man ein neues Recyclingzentrum in der Zelle entdecken„, sagt Seham Ebrahim vom Department of Molecular Physiology and Biological Physics an der University of Virginia. „Wir glauben, dass das Hemifusom steuert, wie Zellen Materialien verpacken und verarbeiten – und wenn das gestört ist, kann es zu Krankheiten führen, die viele Körpersysteme betreffen.

Entdeckt wurde das neue Organell mit Hilfe der Kryo-Elektronentomografie. Diese hochauflösende Bildgebungstechnik „friert“ Zellen ein und erlaubt den Blick in ihre Architektur, wie sie in lebendigem Zustand vorliegt. So entstanden faszinierende Aufnahmen eines Strukturelements, das sich flexibel zeigt: Es erscheint nur dann, wenn die Zelle es braucht – ein funktionaler Pop-up-Ort im Zellinneren.

Ein bislang fehlendes Puzzlestück

Besonders aktiv ist das Hemifusom offenbar bei der Bildung von Multivesikulären Körperchen – also komplexen Strukturen aus mehreren Vesikeln, die unter anderem für Recycling- und Abfallprozesse zuständig sind. Ohne diese Abläufe gerät das innere Gleichgewicht der Zelle schnell aus der Balance.

Man kann sich Vesikel wie kleine Lieferwagen innerhalb der Zelle vorstellen„, erklärt Ebrahim vom UVA Center for Membrane and Cell Physiology. „Das Hemifusom ist wie eine Laderampe, an der sie andocken und Fracht austauschen. Es ist ein Schritt im Prozess, von dem wir bisher gar nicht wussten, dass es ihn gibt.

Was banal klingt, könnte immense Bedeutung haben – vor allem für das Verständnis seltener, schwer behandelbarer Erbkrankheiten. Denn viele dieser Erkrankungen, darunter das Hermansky-Pudlak-Syndrom, beruhen auf fehlerhaften Transport- und Recyclingprozessen innerhalb der Zellen.

Neue Wege in der Krankheitsforschung

Das Hermansky-Pudlak-Syndrom führt unter anderem zu Albinismus, Blutgerinnungsstörungen, Lungenfibrose und Sehstörungen. Die Entdeckung des Hemifusoms könnte nun helfen zu erklären, wie solche Störungen auf zellulärer Ebene entstehen – und damit den Weg für gezielte Therapien ebnen.

Wir fangen gerade erst an zu verstehen, wie sich dieses neue Organell in das große Ganze von Zellgesundheit und Krankheit einfügte„, sagt Ebrahim. „Es ist aufregend – denn wirklich etwas Neues innerhalb von Zellen zu entdecken, ist selten. Und es eröffnet uns einen völlig neuen Forschungsweg.

Noch steht die Forschung am Anfang. Doch dass es sich nicht um eine exotische Ausnahme, sondern um ein verbreitetes Phänomen handelt, hat das Team bereits zeigen können. Hemifusome kommen in bestimmten Zelltypen offenbar regelmäßig vor – ein Hinweis auf ihre fundamentale Bedeutung.

Ein Anfang mit vielen offenen Fragen

Das ist erst der Anfang„, betont Ebrahim. „Jetzt, wo wir wissen, dass es Hemifusome gibt, können wir erforschen, wie sie sich in gesunden Zellen verhalten – und was passiert, wenn etwas schiefläuft. Das könnte uns zu neuen Behandlungsstrategien für komplexe genetische Erkrankungen führen.

Ob das Hemifusom künftig zu den Standardorganellen in Zellbiologiebüchern zählen wird, bleibt abzuwarten. Doch sicher ist: Wer glaubt, wir wüssten schon alles über das Leben in unseren Zellen, sollte nochmal genauer hinsehen – oder besser gesagt: hinmikroskopieren.


Was ist ein Hemifusom?

  • Neues Zellorganell, entdeckt 2025
  • Name bedeutet sinngemäß „Halbverschmelzungskörper“
  • Entdeckt durch Forschung an der University of Virginia und dem NIH
  • Sichtbar gemacht durch Kryo-Elektronentomografie
  • Funktion: Bildung und Sortierung von Vesikeln (zelluläre Transportbläschen)
  • Wichtige Rolle bei Zellrecycling und Abfallverarbeitung
  • Möglicher Zusammenhang mit genetischen Krankheiten wie Hermansky-Pudlak-Syndrom

Originalpublikation:
Amirrasoul Tavakoli et al.,
„Hemifusomes and interacting proteolipid nanodroplets mediate multi-vesicular body formation“,
in: Nature Communications
DOI: 10.1038/s41467-025-59887-9//

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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