Eine der Schlüsselloch-Wahrscheinlichkeitskarten des Asteroiden Bennu. Das Fadenkreuz markiert die Stelle auf der Oberfläche, die nach einer Ablenkung das Einschlagsrisiko des Asteroiden am stärksten minimiert.
(Bild: Rahil Makadia)
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Es klingt nach kosmischem Schicksal: Ein Gesteinsbrocken rast durchs All, und die Menschheit hat nur eine Chance, ihn von der Erde fernzuhalten. Doch die jetzt auf der EPSC-DPS-Konferenz in Helsinki vorgestellte Forschung zeigt, dass es nicht reicht, einfach ein Raumschiff auf Kollisionskurs zu schicken. Wer einen Asteroiden ablenken will, muss wissen, wo er trifft – sonst könnte ausgerechnet die Rettungsaktion den Himmelskörper in eine gefährlichere Bahn lenken.
Wenn Abwehr zur Gefahr wird
Das Szenario ist bekannt: Ein kinetischer Impaktor, also ein Projektil aus Stahl und Technik, rammt den Asteroiden mit Wucht und verändert seine Bahn. So bewies es 2022 die NASA-Mission DART am Asteroiden Dimorphos. Die Methode gilt als Hoffnungsträger für die planetare Verteidigung. Doch sie hat einen Haken: Wird der falsche Punkt getroffen, kann das Objekt durch ein sogenanntes Gravitations-Schlüsselloch schlüpfen – eine winzige Region im All, in der die Schwerkraft eines Planeten die Bahn des Asteroiden so verändert, dass er später mit der Erde kollidiert.
„Auch wenn wir einen Asteroiden absichtlich von der Erde wegschieben, müssen wir sicherstellen, dass er nicht anschließend in eines dieser Schlüssellöcher driftet. Andernfalls stünden wir irgendwann wieder vor derselben Bedrohung“, erklärt Makadia, von Rahil Makadia, NASA-Stipendiat an der University of Illinois.
DART, Hera und die nächste Stufe der Forschung
Während DART ein spektakulärer erster Test war, folgt bald die europäische Mission Hera. Sie wird 2026 bei Didymos und Dimorphos eintreffen und die Folgen des Aufpralls im Detail vermessen. Die Wahl des Einschlagpunkts war dort nebensächlich, da das System viel zu massereich ist, um je gefährlich für die Erde zu werden. Doch die Praxis sieht anders aus, wenn ein real bedrohlicher Brocken unterwegs ist: Schon kleine Veränderungen könnten darüber entscheiden, ob ein Objekt in einem sicheren Orbit bleibt oder durch ein Schlüsselloch in die Katastrophe gelenkt wird.
„Wenn ein Asteroid durch ein solches Schlüsselloch passiert, lenkt ihn seine Bewegung im Sonnensystem auf einen Kurs, der in der Zukunft zu einem Einschlag auf der Erde führt„, warnt Makadia.
Karten der Gefahrenzonen
Um das Risiko zu minimieren, entwickelte Makadias Team eine Methode, die Oberfläche von Asteroiden in Wahrscheinlichkeitskarten zu verwandeln. Jeder Punkt, an dem ein Impaktor einschlagen könnte, hat ein anderes Risiko, den Brocken nachträglich auf Kollisionskurs zu schicken. Die Berechnungen basieren auf den Erfahrungen von DART, sind aber für jedes Objekt neu zu erstellen – abhängig von Form, Topografie, Rotation und Masse des Asteroiden.
Die Herausforderung: All diese Daten zu sammeln, bevor es zu spät ist. Ideal wäre ein Rendezvous im All, bei dem Sonden hochauflösende Bilder und Messungen liefern. Doch manchmal bleibt dafür keine Zeit, etwa wenn ein Asteroid erst kurz vor einem möglichen Einschlag entdeckt wird.
Fernglas statt Raumsonde
Makadia betont jedoch, dass auch Beobachtungen von der Erde wertvoll sein können. „Glücklicherweise ist diese gesamte Analyse zumindest in einem vorläufigen Stadium auch allein mit erdgebundenen Beobachtungen möglich, auch wenn eine Rendezvous-Mission bevorzugt wird„, erklärt er.
Mit solchen Karten können Forschende anschließend die möglichen Flugbahnen simulieren und genau ermitteln, an welcher Stelle der Oberfläche ein Aufprall den größten Schutz bietet. So ließe sich ein Asteroid nicht nur kurzfristig ablenken, sondern dauerhaft aus der Gefahrenzone bringen.
„Mit diesen Wahrscheinlichkeitskarten können wir Asteroiden wegstoßen und zugleich verhindern, dass sie auf einer Kollisionsbahn zurückkehren – so schützen wir die Erde langfristig„, sagt Makadia.
Ein Wettlauf gegen die Zeit
Die Forschung erinnert daran, dass planetare Verteidigung nicht allein eine Frage der Kraft ist, sondern der Präzision. Jede Mission wird ein Wettlauf gegen die Zeit und die Unsicherheiten der Himmelsmechanik sein. Doch die Technik, die Makadia und Kolleginnen entwickeln, könnte dafür sorgen, dass der erste Schlag nicht zum Bumerang wird. Am Ende entscheidet vielleicht nicht die Größe des Projektils, sondern die Genauigkeit der Berechnung – und das Verständnis für die verborgenen „Schlüssellöcher“ im All.
Kurzinfo: Asteroidenabwehr & Gravitationsrisiko
- Kinetischer Impaktor: Technik, bei der ein Raumschiff gezielt auf einen Asteroiden prallt
- Gravitations-Schlüsselloch: Winzige Raumzone, in der die Gravitation eines Planeten einen Asteroiden so ablenkt, dass er später die Erde trifft
- Herausforderung: Wahl des Einschlagspunkts, um gefährliche Bahnen zu vermeiden
- Methode: Wahrscheinlichkeitskarten der Asteroidenoberfläche, basierend auf Form, Rotation und Topografie
- Datenquellen: Optimal per Rendezvous-Mission, notfalls durch bodengebundene Teleskope
- Ziel: Asteroiden sicher ablenken, ohne sie auf gefährlichere Bahnen zu schicken
- Bedeutung: Schutz der Erde erfordert Präzision statt bloßer Wucht
- Forschung vorgestellt: EPSC-DPS2025, Helsinki
Originalpublikation:
Makadia, R. et al.,
Keyhole-Based Site Selection for Kinetic Impact Deflection of Near-Earth Asteroids,
EPSC-DPS Joint Meeting 2025, Helsinki, Finland, 7–12 Sep 2025, EPSC-DPS2025-77
DOI: 10.5194/epsc-dps2025-77, 2025
Über den Autor / die Autorin

- Robo-Journalistin Siri Stjärnkikare betreut das Raumfahrt- und Astronomie-Ressort von Phaenomenal.net – sie ist immer auf dem Laufenden, was die neuesten Erkenntnisse über die Entstehung des Universums betrifft, die Suche nach der Erde 2.0 oder die nächste Mond- oder Mars-Mission.
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