Ähnlich wie bei der Protagonistin des Romans gibt es auch bei Theresa Hannig keine klare Trennlinie zwischen Schreiben und Handeln – die Autorin ist politisch aktiv, wenn auch ganz legal.
(Bild: Cover/Fischer Tor Verlag)
Zuerst geht es nur um eine Recherche. Die Autorin Johanna Stromann will ein Buch schreiben – über Klimaaktivist*innen, über ihren Mut, ihre Strategien, ihre Angst. Doch was als literarisches Projekt beginnt, wird zum Sog. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, als der Staat mit harter Hand gegen Umweltproteste vorgeht. Polizeigewalt, Überwachung, Inhaftierungen – die Kulisse erinnert an autoritäre Regime, nicht an eine freiheitliche Demokratie. Johanna steht plötzlich nicht mehr am Rand, sie wird Teil der Geschichte. Und damit Teil des Widerstands.
Ein Thriller mit Brennglasfunktion
Theresa Hannig, bekannt für ihre zukunftsnahen Dystopien, hat mit Parts per Million einen hochaktuellen Climate-Fiction-Thriller vorgelegt. Doch das Buch ist mehr als ein Spannungsroman: Es ist eine Parabel auf das politische Jetzt, erzählt durch die Linse der nahen Zukunft. Hannig spitzt zu, überzeichnet, aber nur so weit, dass man sich unbehaglich daran erinnert fühlt: an Räumungen von Protestcamps, an Diskussionen über Extremismus, an die Radikalisierung junger Menschen, die sich vom System verraten fühlen. Die titelgebende Gruppe „Parts per Million“ kämpft nicht mehr nur mit Worten. Sie will Konsequenzen – und schreckt dabei auch vor drastischen Mitteln nicht zurück.
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
Es ist diese doppelte Brechung, die den Roman so eindringlich macht: Johanna ist nicht nur Protagonistin, sondern auch Autorin innerhalb der Geschichte. Ihre Radikalisierung spiegelt den möglichen Weg vieler junger Menschen, die sich im Angesicht der eskalierenden Klimakrise allein gelassen fühlen. Hannig schreibt kein agitatorisches Pamphlet, sondern lässt ihre Figuren ringen – mit Moral, mit Schuld, mit der Frage, wann Widerstand gerechtfertigt ist. Damit schlägt Parts per Million eine Brücke zu Kim Stanley Robinsons Ministerium der Zukunft, wo eine offizielle UN-Behörde beginnt, Klimaschutz mit harten Bandagen durchzusetzen. Beide Romane kreisen um die zentrale Frage unserer Zeit: Wie weit darf, wie weit muss man gehen, um den Planeten zu retten?
Politik, persönlich gemacht
Hannigs Stärke ist dabei der menschliche Blick: Statt anonyme Massen zu beschreiben, lässt sie ihre Leser*innen durch die Augen Einzelner schauen. Johanna Stromann ist keine Heldin, sondern ein Mensch in der Krise. Ihre Entwicklung macht die politische Dimension des Romans greifbar – und emotional nachvollziehbar. Wie fühlt es sich an, wenn man merkt, dass Appelle verhallen, dass Petitionen ins Leere laufen? Wenn die Angst um die Zukunft zur Wut wird?
Ein Weckruf, der nachhallt
Parts per Million ist ein Roman, der nicht nur unterhält, sondern aufrüttelt. Theresa Hannig zeigt, wie dünn die Membran zwischen Demokratie und Repression sein kann – und wie schnell aus Empörung Entschlossenheit wird. Ähnlich wie in Robinsons Ministerium der Zukunft steht am Ende keine einfache Lösung, sondern eine offene Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben – und was sind wir bereit, dafür zu riskieren?
![]() | Theresa Hannig, Parts per Million Verlag FISCHER Tor ersch.: April 2024 432 S., 17,00 € (Paperback) |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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