Mit Thanatopia legt Tom Hillenbrand den dritten Band der „Hologrammatica“-Reihe vor – dieser Teil spielt im Wien des Jahres 2095.
(Bild: Cover/Kiepenheuer & Witsch)
Zwei Leichen, ein Gesicht – und ein Rätsel, das weit über die Grenzen des Vorstellbaren hinausgeht. In Tom Hillenbrands neuem Science-Fiction-Roman Thanatopia wird der Tod zum Ausgangspunkt einer Geschichte, die tief ins digitale Zeitalter vordringt. Im Wien des Jahres 2095 stößt ein Kommissar auf eine Welt, in der Identität kopierbar, das Sterben steuerbar und das Leben technisch überformt ist. Hillenbrand erzählt von Hightech-Klonen, virtuellen Ewigkeiten und der vielleicht letzten großen Frage der Menschheit: Was macht uns aus, wenn der Tod keine Gewissheit mehr ist?
Mysteriöser Klonmord in Wien
Die Geschichte beginnt im Wien des Jahres 2095. Kommissar Landauer steht vor einem bizarren Fall: Zwei identische Frauenleichen werden aus der Donau gezogen – genetisch und äußerlich völlig gleich. Eine davon ist offenbar ein Klon. Die Ermittlungen führen ihn tief hinein in die Abgründe einer Zukunft, in der der Tod kein Ende mehr ist, sondern eine Option.
Bald stößt Landauer auf eine subkulturelle Bewegung, die sich selbst „Deather“ nennt – junge Menschen, die gezielt Klone von sich töten. Ein morbides Ritual oder Ausdruck einer radikalen Identitätssuche? Hillenbrand entwickelt daraus ein psychologisch dichtes Szenario, das technoide Logik und menschliche Sehnsucht aufeinanderprallen lässt.
Der Tod als Systemfrage
Was Thanatopia so faszinierend macht, ist nicht nur der Thriller-Plot, sondern die Idee dahinter. Hillenbrand, der bereits in Hologrammatica und Qube techno-philosophische Entwürfe vorlegte, denkt hier die digitale Unsterblichkeit weiter. Die Körper sind beliebig reproduzierbar, das Bewusstsein speicherbar – aber bleibt der Mensch derselbe, wenn seine Kopie lebt? Und was, wenn das Original stirbt?
In dieser Zukunft ist der Tod keine biologische Notwendigkeit mehr, sondern ein soziales und ökonomisches Konstrukt. Die „Unsterblichkeitstechnologien“ sind vorhanden – doch sie erzeugen neue Konflikte: um Zugang, um Identität, um Moral. Hillenbrand schreibt dabei nicht als Technik-Gläubiger, sondern als neugieriger Skeptiker.
Auf der Flucht vor dem Ewigen
Die Handlung führt von Wien nach London, über Griechenland bis ans andere Ende der Welt – getrieben von der Frage, was es bedeutet, zu sterben in einer Welt, in der der Tod seine Endgültigkeit verloren hat. Dabei entfaltet Hillenbrand nicht nur Spannung, sondern auch große gedankliche Räume. Thanatopia ist ein Krimi, ein Roadmovie, ein Ideenroman – in einer Sprache, die schnörkellos bleibt, aber Tiefe entwickelt.
Hightech trifft Tiefsinn
Wie schon in früheren Romanen gelingt es Hillenbrand, technische Details verständlich zu machen, ohne zu dozieren. Die Welt von Thanatopia ist digitalisiert, automatisiert, virtualisiert – und dennoch zutiefst menschlich. Im Zentrum steht die alte Frage nach der Seele in einer neuen Verpackung.
Der Roman ist Teil des Hologrammatica-Universums, funktioniert aber auch unabhängig. Fans der Reihe entdecken vertraute Themen wieder, Neuleserinnen und Neuleser steigen mühelos ein.
Leben mit dem Paradox
Hillenbrand ist studierter Politikwissenschaftler, gelernter Journalist und passionierter Zukunftsdenker. In Thanatopia verbindet er gesellschaftliche Fragen mit erzählerischer Wucht – und stellt dabei eine unbequeme Wahrheit ins Zentrum: Vielleicht macht nicht der Tod uns menschlich, sondern der Umgang mit seiner Unvermeidbarkeit. Und vielleicht beginnt das wahre Leben genau dort, wo es endet.
![]() | Tom Hillenbrand, Thanatopia Verlag Kiepenheuer & Witsch ersch. April 2024, 432 Seiten, 24 Euro |
Tom Hillenbrand,
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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