Gestörte Tiefseekabel eignen sich sowohl als Erzählanlass, wie auch – und vor allem – als eine passende Metapher für innere und äußere Zerreißproben des Lebens, ob nun zwischen Menschen oder zwischen Kulturen und Kontinenten.
(Bild: Coverdetail/Verlag)
Ein Schiff inmitten des Atlantiks, schwankend auf der Oberfläche – und darunter ein beschädigtes Kabel, das Kontinente verbindet. Was auf den ersten Blick wie der Plot einer technischen Reportage anmutet, entwickelt sich in Colum McCanns neuem Roman Twist zu einer poetischen Erkundung dessen, was uns Menschen verbindet – und trennt.
Colum McCann, bekannt für sprachlich dichte Romane mit politischem und gesellschaftlichem Tiefgang (Let the Great World Spin, Apeirogon), legt mit Twist ein Werk vor, das gleichsam als Metapher wie als präzise Milieustudie funktioniert. Es ist die Geschichte eines Journalisten, der auf ein Schiff geht, um über die Reparatur eines Tiefseekabels zu schreiben – und dabei seine eigene innere Zerreißprobe erlebt.
Ein Schauplatz zwischen Wasser und Wirklichkeit
Der Roman spielt größtenteils auf offener See. Ein Reparaturboot soll ein unterbrochenes Internetkabel auf dem Meeresboden flicken – eine logistische und technische Herausforderung. Doch Twist ist kein Technikthriller. Vielmehr nutzt McCann diesen hochspezialisierten Ort als Bühne für ein Kammerspiel der Gedanken.
Der Protagonist – ein erfahrener, aber erschöpfter Reporter – beobachtet, beschreibt, analysiert. Doch das Schiff ist kein sicherer Boden, sondern ein schaukelnder Resonanzkörper für Zweifel, Erinnerungen und unausgesprochene Konflikte. Die Gespräche mit der Crew, das monotone Warten auf stabile Wetterfenster, die fragilen Verbindungen in den eigenen Kopf: all das verwirbelt sich zu einem Roman, der mit jeder Seite tiefer sinkt.
Der Bruch als literarisches Prinzip
Wie das beschädigte Kabel steht auch der Erzähler selbst unter Spannung. Seine Beziehung ist zerbrochen, seine journalistische Karriere auf Autopilot. Und doch sucht er, tastend und tastend, nach Verbindung. Colum McCann gelingt es dabei, äußere und innere Brüche ineinander zu verschränken. Die physische Arbeit der Techniker – Tauchen, Schneiden, Versiegeln – spiegelt sich in den seelischen Reparaturversuchen des Protagonisten.
McCanns Stil ist dabei wie immer detailverliebt, atmosphärisch, beinahe musikalisch. Die Sprache gleitet zwischen nüchterner Beschreibung und lyrischem Innehalten, zwischen den Zeilen blitzen Trauer, Ironie und Menschlichkeit auf.
Nähe trotz Distanz
Das Besondere an Twist ist nicht die Handlung, sondern ihre emotionale Tiefenschärfe. McCann schreibt über Kommunikation im Zeitalter permanenter Erreichbarkeit – und darüber, wie leicht sie zerbricht. Der beschädigte Datenstrom im Ozean wird zum Sinnbild für verpasste Anrufe, ungeöffnete Mails, unausgesprochene Wahrheiten.
Die Frage, was passiert, wenn Kommunikation zusammenbricht – beruflich, privat, global – durchzieht das Buch wie ein leiser Strom. Und obwohl der Protagonist von Wasser umgeben ist, herrscht eine beklemmende Trockenheit: zwischenmenschliche Verbindungen scheinen ausgedörrt, Reaktionen zögerlich, das Sprechen schwer.
Ein Roman für das Zeitalter der Unterbrechung
Twist ist kein lauter Roman. Er arbeitet mit Stille, mit Auslassungen, mit dem, was nicht gesagt wird. Gerade darin liegt seine Stärke: In einer Zeit, in der alles kommuniziert wird, oft gleichzeitig und unbedacht, fragt McCann, was echte Verbindung eigentlich ausmacht – und was sie braucht, um zu bestehen.
Zugleich liest sich Twist auch als stilles Plädoyer für Achtsamkeit – im Miteinander, im Denken, im Schreiben. Die Technik ist nur Mittel zum Zweck, die Tiefsee nur Kulisse. Das eigentliche Drama spielt sich im Inneren ab: zwischen den Figuren, in ihren Biografien, in den Schatten der Vergangenheit.
![]() | Colum McCann, Twist Rowohlt Verlag Übersetzt aus dem Irischen von Thomas Überhoff Erschienen: 11.03.2025 416 Seiten, 28,00 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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