Eine neue Theorie zur Geburt des Universums

Eine neue Theorie zur Geburt des Universums

Was passierte in der ersten Sekunde des Universums? Die neue Theorie eines internationalen Forscherteams setzt anstelle eines spekulativen „Inflaton“-Feldes auf empirisch beobachtbare Gravitationswellen als entscheidender Faktor.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Wie alles begann – diese Frage beschäftigt die Menschheit seit Jahrtausenden. Auch die Physik kommt nicht ganz ohne Spekulationen aus: in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall wird mit exotische Teilchen, hypothetische Felder und mathematische Klimmzüge hantiert. Doch geht es nicht einfacher? Ein internationales Forschungsteam rund um den Kosmologen Raúl Jiménez wagt genau das: In einer aktuellen Studie entwerfen sie ein minimalistisches Modell der ersten kosmischen Momente – mit Gravitationswellen als entscheidender Faktor, der das uns bekannte Weltall mit seinen Galaxien und Materiewolken geschaffen hat. Ein radikaler Vorschlag, der alte Gewissheiten hinterfragt und die Kosmologie zurückführt zu ihren physikalischen Grundlagen.

Blick zurück ohne spekulative Hilfskonstruktionen

Seit Jahrzehnten gilt die Inflationstheorie als Standardmodell der frühen Kosmologie. Danach dehnte sich das Universum unmittelbar nach dem Urknall in einem winzigen Bruchteil einer Sekunde rasend schnell aus – ein Prozess, ausgelöst durch ein noch nie beobachtetes Feld, das Inflaton. Doch das Modell leidet an einer wachsenden Zahl freier Parameter und theoretischer Zusätze, die sich nur schwer mit empirischer Strenge vereinbaren lassen.

Für Jahrzehnte haben wir versucht, die Frühzeit des Universums mit Modellen zu erklären, die auf Elementen beruhen, die wir nie beobachtet haben“, sagt Jiménez, ICREA-Forscher am Institut für Kosmoswissenschaften der Universität Barcelona.

Ein Anfang im De-Sitter-Raum

Die neue Theorie beginnt nicht mit einer spekulativen Annahme, sondern mit einem Zustand, der sich auch heute in der Kosmologie wiederfindet: dem sogenannten De-Sitter-Raum. Dieses Gleichgewichtsstadium beschreibt ein Universum, das sich konstant ausdehnt – ähnlich der Expansion, die wir heute der Dunklen Energie zuschreiben.

Ausgehend von dieser Konfiguration postuliert das Team, dass winzige Quantenfluktuationen des Raum-Zeit-Kontinuums – also Gravitationswellen – ausreichen könnten, um jene minimalen Dichteschwankungen hervorzurufen, aus denen später Sterne, Galaxien und Planetensysteme entstehen. Es braucht keine zusätzlichen Teilchen, keine Felder, keine Willkür – nur das Zusammenspiel von Gravitation und Quantenphysik.

Dichteschwankungen aus der Raumzeit selbst

Im Gegensatz zu klassischen Modellen, in denen ein skalares Feld für die Dichteschwankungen verantwortlich gemacht wird, entstehen diese in der neuen Theorie aus sogenannten Tensorfluktuationen zweiter Ordnung – eine natürliche Folge der Gravitationswellen, die aus dem Vakuum des De-Sitter-Raums hervorgehen.

Was diesen Vorschlag so spannend macht, ist seine Einfachheit und Überprüfbarkeit. Wir fügen nichts Spekulatives hinzu, sondern zeigen, dass Gravitation und Quantenmechanik ausreichen könnten, um die Struktur des Kosmos zu erklären“, betont Jiménez.

Die Forschenden haben das Spektrum dieser durch Gravitationswellen ausgelösten Dichteschwankungen berechnet – und festgestellt, dass sie nahezu skaleninvariant sind. Genau das fordern die Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds. Auch ein natürlicher Übergang zu einer strahlungsdominierten Expansionsphase ist im Modell enthalten – ohne externe Steuerung.

Kosmologie mit klaren Kanten

Was das Modell besonders macht, ist nicht nur sein reduzierter Ansatz, sondern seine Testbarkeit. In den kommenden Jahren werden neue Observatorien Gravitationswellen und die großräumige Struktur des Kosmos mit bisher unerreichter Präzision vermessen. Die neue Theorie liefert klare, überprüfbare Vorhersagen. Wird ihre Form der Dichteschwankungen bestätigt, könnte das eine Wende in der modernen Kosmologie markieren – zurück zu einem Denken, das sich auf das Beobachtbare stützt.

Ein nüchterner Blick auf das große Ganze

Die Frage nach dem Ursprung des Universums war lange das Reich der Philosophie. Doch in der modernen Physik ist sie zum Prüfstein empirischer Theorien geworden – mit mathematischer Schärfe und technologischer Raffinesse. Das neue Modell von Jiménez und seinem Team zeigt: Manchmal liegt die Erklärung nicht in immer neuen Annahmen, sondern in der Rückbesinnung auf das, was sich tatsächlich messen lässt.

Ob sich die Theorie durchsetzt, wird die Zeit zeigen. Sicher ist aber: Sie macht einen kühnen Vorschlag – und öffnet eine Tür zu einer Kosmologie, die mit weniger mehr sagt.


Kurzinfo: Kosmologie neu gedacht:

  • Zentrale Idee: Der frühe Kosmos braucht zur Ausdehnung kein spekulatives „Inflatonfeld“
  • Ausgangspunkt: Stabiler De-Sitter-Raum (bekannt aus der Dunklen Energie)
  • Zentrale Mechanismen: Gravitationswellen aus Quantenfluktuationen
  • Vorteil: Keine spekulativen Felder, keine beliebig anpassbaren Parameter
  • Testbarkeit: Vorhersagen durch reale Messungen überprüfbar
  • Beobachtbare Effekte: Dichteschwankungen, bekannte Struktur des Kosmos, Gravitationswellen
  • Ziel: Minimales Modell mit maximaler Aussagekraft

Originalpublikation:
Raúl Jiménez et al.,
Inflation without an inflaton,
in: Physical Review Research (8-Jul-2025)
DOI: 10.1103/vfny-pgc2

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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