Erstmals Roboterfinger per EEG gesteuert

Erstmals Roboterfinger per EEG gesteuert

Bald wird man wohl ganz ohne Elektroden im Hirn auskommen – immer mehr Bewegungsabläufe lassen sich alleine durch EEG-Signale steuern. Eine besondere Hürde war bisher die Feinmotorik der Hand – doch die scheint nun dank der Fortschritte an der Carnegie Mellon University überwunden.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Ein Gedanke genügt – und der Roboterfinger bewegt sich. Was bislang nur mit implantierten Elektroden im Gehirn möglich war, haben Forschende der Carnegie Mellon University nun mit einem einfach tragbaren EEG-System erreicht. In einer neuen Studie zeigen sie, dass selbst feinmotorische Fingerbewegungen in Echtzeit dekodiert und auf eine Roboterhand übertragen werden können – allein durch Konzentration.

Die stille Sprache des Gehirns

Brain-Computer-Interfaces (BCIs) gelten als Zukunftstechnologie für Menschen mit Lähmungen oder Amputationen. Sie erlauben es, Maschinen mit Gedanken zu steuern. Doch viele Systeme basieren bislang auf invasiven Eingriffen: Nur wer sich Elektroden ins Gehirn implantieren lässt, kann komplexe Bewegungen ausführen. Für die breite Anwendung im Alltag ist das keine Lösung.

Bin He, Professor für Biomedizinische Technik an der Carnegie Mellon University, forscht seit über 20 Jahren an nichtinvasiven Alternativen: „Die Verbesserung der Handfunktion ist ein zentrales Ziel – sowohl für beeinträchtigte als auch für gesunde Menschen. Denn schon kleine Fortschritte können die Lebensqualität spürbar steigern“, erklärt He.

Denken – und die Finger folgen

In der neuen Studie, veröffentlicht in Nature Communications, ist seinem Team ein Durchbruch gelungen: 21 Probandinnen und Probanden konnten mithilfe von Elektroenzephalografie (EEG) und einer neuartigen Deep-Learning-Software einzelne Fingerbewegungen eines Roboterarms auslösen – durch bloßes Denken.

Die Versuchsteilnehmenden sollten sich die Bewegung einzelner Finger vorstellen oder sie minimal ausführen. Ein feinjustiertes neuronales Netzwerk dekodierte die entsprechenden Gehirnströme in Echtzeit. So konnten sie präzise Zwei- und Drei-Finger-Kombinationen steuern – eine Premiere für nichtinvasive BCIs.

Die Echtzeit-Dekodierung von differenzierten Fingerbewegungen war lange ein unerreichbares Ziel – wegen der begrenzten räumlichen Auflösung von EEG-Signalen“, sagt He. „Unsere Studie zeigt, dass es mit modernen KI-Methoden und kontinuierlicher Feinabstimmung möglich ist, diese Hürde zu überwinden.

Vom Drohnenflug zur Fingerfertigkeit

Für Bin He ist es nicht der erste Meilenstein: Bereits in früheren Studien gelang es seiner Arbeitsgruppe, per EEG eine Drohne zu steuern, einen Roboterarm zu bewegen – und nun auch eine Roboterhand fingerweise zu kontrollieren. Entscheidend war dabei die Kombination aus Hirnsignal-Verarbeitung und künstlicher Intelligenz.

Wir haben ein System entwickelt, das nicht nur auf Offline-Analysen basiert, sondern im Hier und Jetzt denkt – mit dem Nutzer, in Echtzeit“, so der Forscher. Das neuronale Netzwerk lernt dabei mit jeder Bewegung, passt sich an und wird präziser. Glättungsalgorithmen stabilisieren die Signale zusätzlich.

Mit einer Erfolgsrate von über 80 Prozent bei Zwei-Finger-Tasks und über 60 Prozent bei Drei-Finger-Kombinationen konnte das System bereits in der Pilotstudie überzeugen. Ziel ist nun, die Technik weiter zu verfeinern – etwa für Anwendungen wie Tippen oder das Greifen kleiner Objekte.

Ein Werkzeug für Millionen?

Die klinische Relevanz des Projekts liegt auf der Hand – im wörtlichen Sinn. Weltweit leben über eine Milliarde Menschen mit motorischen Einschränkungen. Gerade nach Schlaganfällen ist die Feinmotorik der Hand oft dauerhaft beeinträchtigt. Klassische Reha-Maßnahmen erreichen hier oft ihre Grenzen.

Ein noninvasives BCI, das natürliche Fingerbewegungen zurückbringen oder ergänzen kann, wäre für viele Betroffene ein Hoffnungsschimmer. Und auch für Gesunde könnten sich künftig ganz neue Formen der Interaktion mit Technik eröffnen – etwa in der Telechirurgie, in der Industrie oder beim Gaming.

Doch die Forscher bleiben realistisch. „Wir stehen noch am Anfang“, betont He. Bis zur Serienreife seien noch viele technische und ethische Fragen zu klären – etwa zur Datensicherheit, Signalstabilität und Nutzerfreundlichkeit.

Die Zukunft liegt auf der Fingerspitze

Was bisher nach Science-Fiction klang, wird Schritt für Schritt real: Gedanken werden zu Bewegung, ohne Umweg über Muskel oder Nervenbahn. Das Ziel ist nicht die Maschine um ihrer selbst willen – sondern eine neue Verbindung von Mensch und Technik, die den Alltag erleichtert.

Dass das nun sogar ohne Operation gelingt, macht Hoffnung: auf eine Technologie, die nicht nur Gedanken liest, sondern sie endlich auch nutzbar macht – für alle.


Kurzinfo: – BCI-Fingersteuerung im Überblick

- Studie von Prof. Bin He (Carnegie Mellon University)
- Veröffentlicht in Nature Communications, 30. Juni 2025
- System basiert auf EEG – keine Operation nötig
- Dekodiert Gedanken zu Fingerbewegungen in Echtzeit
- Steuert Roboterhand mit Zwei- und Drei-Finger-Gesten
- Erfolgsrate: 80,56 % (zwei Finger), 60,61 % (drei Finger)
- Nutzt Deep Learning mit Feintuning und Glättung
- 21 Testpersonen, keine Implantate nötig
- Ziel: Anwendung in Reha, Alltag, Techniksteuerung


Originalpublikation:
Bin He et al.,
„EEG-based Brain-Computer Interface Enables Real-time Robotic Hand Control at Individual Finger Level“,
in: Nature Communications
(30-Jun-2025).
DOI: 10.1038/s41467-025-61064-x

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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