Forschende veröffentlichen größte Karte des Universums

Forschende veröffentlichen größte Karte des Universums

So geht Demokratisierung der Wissenschaft: Das COSMOS-Web-Field ist für die Öffentlichkeit frei zugänglich – der hochauflösende Blick ins Universum reicht bis zu 13,5 Mrd. Jahre zurück, und nutzt Daten des James-Webb-Weltraumteleskops

(Bild: M. Franco / C. Casey / COSMOS-Web collaboration)


Das Universum, eingefroren in einem riesigen Bild: Mit rund 800.000 Galaxien, die bis fast zum Urknall zurückreichen, haben Forschende aus aller Welt die bislang größte Karte des Kosmos veröffentlicht. Das sogenannte COSMOS-Web-Field zeigt nicht nur eine atemberaubende Vielfalt, sondern wirft auch neue Fragen auf – etwa zur Entstehung der ersten Sterne und Schwarzen Löcher. Möglich wurde das Projekt durch die präzisen Daten des James-Webb-Weltraumteleskops (JWST).

Ein Fenster in die Vergangenheit

Das Bild, das Forscherinnen und Forscher um Caitlin Casey von der UC Santa Barbara und Jeyhan Kartaltepe vom Rochester Institute of Technology veröffentlichten, reicht rund 13,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit – also über 98 Prozent der bekannten kosmischen Zeit.

Unser Ziel war es, ein Deep Field des Universums auf einer physikalischen Skala zu erstellen, die alles bisher Dagewesene übertrifft“, erklärt Casey. „Wenn man das berühmte Hubble Ultra Deep Field auf ein DIN-A4-Blatt drucken würde, wäre unser Bild etwa so groß wie ein 13-mal-13-Fuß großes Wandgemälde – bei gleicher Tiefe.

Anders gesagt: Das JWST zeigt nicht nur punktuell entfernte Galaxien, sondern ein ganzes kosmisches Umfeld – mitsamt Filamenten, Leerräumen und frühen Strukturen.

Überraschung im frühen Universum

Doch was das Team entdeckte, ging weit über das Erwartbare hinaus. Eigentlich, so die Annahme, hätte es in den ersten 500 Millionen Jahren nach dem Urknall kaum Galaxien geben dürfen – zu kurz war die Zeit für Gravitation und Sternenbildung.

Es ist logisch: Nach dem Urknall dauert es eine Weile, bis sich Strukturen bilden und Sterne zu leuchten beginnen“, so Casey. „Die große Überraschung ist, dass wir mit JWST etwa zehnmal mehr Galaxien sehen als erwartet – in extremen Entfernungen. Und wir sehen auch supermassereiche Schwarze Löcher, die mit Hubble nicht sichtbar waren.

Nicht nur die Menge, auch die Typen der beobachteten Objekte sprengen etablierte Modelle. Und sie werfen neue Fragen auf.

Mehr Licht, als erlaubt?

Die COSMOS-Web-Daten zeigen nicht nur ein reiches Universum – sie bringen auch Theorien ins Wanken. Etwa, ob das kosmologische Standardmodell überhaupt alle Prozesse korrekt beschreibt.

Seit dem Start des Teleskops fragen wir uns: Bricht JWST unser kosmologisches Modell?“ fragt Casey. „Das Universum produziert zu viel Licht – zu früh. Wie konnten innerhalb von nur 400 Millionen Jahren Sterne mit der Masse einer Milliarde Sonnen entstehen? Wir wissen es nicht.

Diese Diskrepanz könnte Hinweise auf bisher unbekannte Prozesse oder sogar neue Physik liefern. Gleichzeitig zeigt sich: Noch sind viele Details ungeklärt – und die eigentliche Forschungsarbeit beginnt gerade erst.

Wissenschaft für alle

Besonders bemerkenswert: Die Daten wurden öffentlich zugänglich gemacht – nicht nur in Rohform, sondern als aufbereitete Bilder und Kataloge. So sollen auch kleinere Forschungseinrichtungen oder Studierende die Möglichkeit bekommen, das frühe Universum zu erforschen.

Ein großer Teil dieses Projekts ist die Demokratisierung der Wissenschaft“ sagt Casey. „Die besten Ergebnisse entstehen, wenn viele Menschen auf die gleichen Daten schauen – aus unterschiedlichen Perspektiven.

Das Team arbeitete zwei Jahre daran, die Rohdaten in nutzbare wissenschaftliche Produkte umzuwandeln. Jetzt stehen sie bereit – für alle, die das Universum verstehen wollen.

Aufbruch ins Unbekannte

Die Reise ins kosmische Dunkel ist damit nicht vorbei. Im Gegenteil: Die Forschenden haben bereits weitere Beobachtungen angesetzt. Ziel ist es, mithilfe der Spektroskopie die Entfernungen der frühesten Galaxien zu bestätigen – und gleichzeitig chemische Spuren von Stickstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff zu analysieren.

Wir haben vermutlich die frühesten Galaxien im Bild identifiziert – aber das müssen wir verifizieren“, so Casey. „Und dabei lernen wir auch viel über die Chemie zwischen den Sternen.

Am Ende bleibt das größte Bild des Universums vor allem eines: ein Anfang. Ein Werkzeug, das nicht nur astronomische Fragen aufwirft – sondern auch zeigt, wie viel wir noch nicht wissen.


Kurzinfo: Die größte Karte des Universums – auf einen Blick

  • Projekt: COSMOS-Web
  • Beteiligte: Internationale Forschungsteams, u.a. UC Santa Barbara, RIT
  • Teleskop: James Webb Space Telescope (JWST)
  • Datenbasis: Bild + Katalog mit rund 800.000 Galaxien
  • Tiefe: Blick bis ca. 13,5 Milliarden Jahre zurück
  • Ziele: Frühzeit des Universums, Galaxienbildung, Schwarze Löcher
  • Überraschung: 10-mal mehr frühe Galaxien als erwartet
  • Verfügbarkeit: Daten und Katalog öffentlich zugänglich
  • Forschungspotenzial: Kosmologie, dunkle Materie, chemische Entwicklung
  • Nächste Schritte: Spektroskopie zur Altersbestimmung und chemischen Analyse

Originalpublikation:

Casey, Caitlin M.  et al.,

COSMOS-Web: An Overview of the JWST Cosmic Origins Survey

in: The Astrophysical Journal, Volume 954, Issue 1, id.31, 32

 pp. (September 2023)  

DOI: 10.3847/1538-4357/acc2bc 

DOI: 10.48550/arXiv.2211.07865 

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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