Die Hälfte der Gletscher ist noch zu retten

Die Hälfte der Gletscher ist noch zu retten

Mit Eis oder ohne Eis? Es ist nicht zu spät, knapp 50 Prozent der Gletscher zu retten. Wir könnten auch 75 Prozent verlieren, wenn das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung nicht eingehalten wird.

Bild: Redaktion/PiPaPu


Die Zukunft der Gletscher ist bereits teilweise geschrieben – und sie ist erschreckend. Selbst wenn die globale Temperatur von heute an konstant bliebe, würden mehr als ein Drittel aller Gletschermassen außerhalb von Grönland und der Antarktis schmelzen. Das zeigt eine internationale Studie, an der auch die Universität Bremen beteiligt war. Doch der Grad des Verlusts ist nicht egal: Je konsequenter der Klimaschutz, desto mehr Eis kann gerettet werden. Jeder Bruchteil eines Grades zählt.

Ein Viertel bleibt bei derzeitiger Politik

Die Forschenden haben den Eisverlust von über 200.000 Gletschern modelliert. Grundlage waren acht anerkannte Gletschermodelle, gekoppelt mit verschiedenen globalen Temperaturszenarien. Ergebnis: Wird der derzeitige Kurs der internationalen Klimapolitik fortgesetzt und steigen die Temperaturen um 2,7 Grad Celsius, schrumpfen die weltweiten Gletscher um 75 Prozent. Wird dagegen das 1,5-Grad-Ziel eingehalten, könnten immerhin 54 Prozent erhalten bleiben.

Unsere Studie macht schmerzlich deutlich, dass jeder Bruchteil eines Grades zählt“, sagt Dr. Harry Zekollari von der Vrije Universiteit Brüssel. „Die Entscheidungen, die wir heute treffen, werden sich Jahrhunderte nachwirken und bestimmen, wie viel von unseren Gletschern erhalten werden kann.

Der Zusammenhang ist mathematisch klar: Jede zusätzliche Erwärmung um 0,1 Grad führt laut Modell zu etwa zwei Prozent mehr Verlust des Gletschereises. Die Zahlen machen deutlich, dass es nicht nur um symbolische Unterschiede geht – es geht um konkreten Eisverlust, sichtbare Veränderungen und unumkehrbare Folgen.

Der stille Rückzug

Gletscher reagieren nicht sofort, sondern zeitverzögert. Selbst bei gleichbleibender Temperatur von 1,2 Grad Celsius würden 39 Prozent des Gletschereises schmelzen. Ursache ist die Trägheit des Eissystems: Es braucht Jahrhunderte, bis sich ein neues Gleichgewicht einstellt. Der Rückzug geht also weiter, selbst wenn heute kein weiteres CO2 ausgestoßen würde. Allein dieser Verlust trägt mehr als zehn Zentimeter zum Meeresspiegelanstieg bei.

Gletscher sind gute Indikatoren für den Klimawandel, denn durch ihren Rückzug können wir mit eigenen Augen sehen, wie sich das Klima verändert. Die Situation der Gletscher ist in Wirklichkeit viel schlechter, als heute in den Bergen sichtbar ist“, erklärt Dr. Lilian Schuster von der Universität Innsbruck.

Auch wenn viele Alpentäler noch von Gletschern geprägt sind: Das Eis, das heute sichtbar ist, spiegelt den Stand von vor Jahrzehnten wider. Die eigentliche Erwärmung holt erst auf – mit weitreichenden Konsequenzen für Gebirge weltweit.

Verantwortung über Jahrhunderte

Professor Ben Marzeion vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen betont die Langzeitwirkung politischer Entscheidungen: „Die Ergebnisse unterstreichen, dass die aktuelle Klimapolitik eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie sich die Gletscher künftig entwickeln werden. Sie verdeutlichen die große Verantwortung, die wir für die kommenden Generationen tragen“. Die Autoren der Studie zeigen: Auch wenn das Eis langsam schmilzt, ist schnelles Handeln gefragt.

Denn Gletscher sind nicht nur Masse – sie sind Speicher von Süßwasser, Grundlage ganzer Ökosysteme, Puffer gegen Extremwetter. Gehen sie verloren, geraten viele regionale Wasserkreisläufe aus dem Gleichgewicht. Besonders betroffen: Trockengebiete in Asien, Südamerika und Afrika, in denen Gletscherschmelzwasser lebensnotwendig ist.

Folgen für Wasser, Sicherheit und Tourismus

Der Gletscherschwund ist nicht nur ein Naturphänomen, sondern hat konkrete Auswirkungen: In vielen Regionen versorgen Gletscher Menschen mit Trinkwasser. Mit dem Eis schwindet diese Quelle. Auch die Gefahr von Gletscherseen und unkontrollierten Flutwellen steigt. Zudem leidet der Tourismus in alpinen Regionen, wenn das ewige Eis fehlt.

Hinzu kommen politische Spannungen: Schmelzende Gletscher machen grenzüberschreitende Wasserverträge fragil. In Regionen mit ohnehin knappen Ressourcen verschärfen sie bestehende Konflikte – eine oft unterschätzte Folge des Klimawandels.

Beitrag zum UN-Gletscherjahr 2025

Die neue Studie ist Teil des UN-Jahres der Gletschererhaltung 2025. Koordiniert wurde sie im Rahmen des Glacier Model Intercomparison Project (GlacierMIP) durch das Programm „Klima und Kryosphäre“ (CliC) des Weltklimaforschungsprogramms. Sie liefert belastbare Zahlen – und ein deutliches Signal.

Die Situation ist dramatisch, aber nicht hoffnungslos. Wir haben es in der Hand, den Verlust zu begrenzen“, so die Forschenden.

Die Wissenschaft liefert die Daten. Doch die politische Umsetzung entscheidet, ob künftige Generationen noch Gletscher sehen werden – oder nur ihre Kartenreste.


Kurzinfo: Fakten zur Gletscher-Studie

  • Studie von 21 Forschenden aus zehn Ländern, u. a. Universität Bremen
  • Modellierung von 200.000 Gletschern weltweit (außer Antarktis und Grönland)
  • Selbst bei heutiger Temperatur: 39 Prozent Eisverlust nicht vermeidbar
  • Bei 2,7 Grad globaler Erwärmung: nur 25 Prozent der Gletschermasse bleibt
  • Begrenzung auf 1,5 Grad rettet mehr als die Hälfte
  • Meeresspiegel steigt allein durch Gletscherschmelze um über zehn Zentimeter
  • Auswirkungen auf Trinkwasserversorgung, Katastrophenschutz, Tourismus
  • Beitrag zum UN-Gletscherjahr 2025
  • Verstärkte Klimaschutzmaßnahmen können Verluste begrenzen

Quelle:

Harry Zekollari et al. (2025): Glacier preservation doubled by limiting warming to 1.5°C versus 2.7°C,

in: Science, Vol 388, Issue 6750 (May 29th, 2025),

DOI: doi.org/10.1126/science.adu4675

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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