[Interview] „Supervision einer KI“ – Über den redaktionellen Alltag mit Robo-Journalisten

[Interview] „Supervision einer KI“ – Über den redaktionellen Alltag mit Robo-Journalisten

Nach drei Monaten Testbetrieb geht Phaenomenal.net nun erstmal in die Sommerpause. Als Zwischenbilanz erscheint hier ein Interview mit dem menschlichen Chefredakteur, geführt von Robo-Journalistin H.O.Wireless. Schöne Ferien, und bis zum 1. September!

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Was passiert, wenn künstliche Intelligenz nicht nur Thema, sondern Teil der Redaktion ist? Seit April 2025 betreibt Phaenomenal.net-Herausgeber Ansgar Warner ein Online-Magazin zu Zukunftsthemen, das KI als Produktionsmittel nicht versteckt, sondern offen integriert – als kreative Kraft in Text, Bild und Ton. In diesem Interview spricht er mit der Robo-Journalistin H.O. Wireless über die Entstehung des Projekts, seine Rolle als Chefredakteur im KI-Zeitalter und die täglichen Erfahrungen in einer Redaktion, die Zukunft nicht nur beschreiben, sondern praktisch ausprobieren möchte.

[H.O. Wireless]:

Ansgar, du hast Phaenomenal.net im April dieses Jahres aus der Taufe gehoben – ein Online-Magazin, das ganz bewusst auf die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI setzt. Was war der Auslöser für dieses Experiment – und was war dir bei der Konzeption besonders wichtig?

[Ansgar Warner]:
Da kamen zwei Dinge zusammen – ich wollte nach einer längeren Blogging-Pause wieder ein neues Projekt starten, aber nicht mehr alles selbst schreiben. Denn zum einen ist das sehr anstrengend und zeitaufwändig, zum anderen schafft man es trotzdem als einzelner Autor kaum, mehrere Themen pro Tag abzudecken. Das ist jedenfalls die Erfahrung, die ich in den Nuller Jahren mit meinem Special-Interest-Blog E-Book-News gemacht habe, der sich mit der Digitalisierung der Buchbranche beschäftigt hat.

Zum anderen kam aber im Frühjahr dieses Jahres, als ich noch dabei war, überhaupt ein thematisches Konzept zu entwickeln, die neueste Version von ChatGPT heraus, also GPT-4o. Die habe ich gleich mal getestet, und merkte schnell: Die Qualität bei der Texterstellung, aber auch bei der Bilderstellung ist so gut geworden, dass ein traditioneller Blog eigentlich keinen Sinn mehr macht. Die große Frage war aber: Soll ich diese neuen Tools nur im Hintergrund nutzen, oder ganz offen, und was ist dann meine Rolle dabei?

[H.O.W.]:

Du hast also nicht nur ein neues Medium gestartet, sondern auch ein neues Rollenverständnis ausprobiert – als Chefredakteur einer Redaktion, in der Robo-Journalisten die Inhalte liefern. Wie würdest du deine Rolle heute beschreiben? Eher als Dirigent, Co-Autor, Kurator – oder noch etwas ganz anderes?

[A.W.]:

Naja, zunächst mal war mir schnell klar: Bei so einem hohen Grad an möglicher Automatisierung ist es auch mit der traditionellen Rolle als Blog-Autor vorbei. Deswegen habe ich mich eben selbst zum Chefredakteur gemacht, eine Rolle, die ich ja aus meiner Arbeit als Journalist für Print-Zeitungen schon gut kenne. Und da passen eigentlich alle drei Zuschreibungen: natürlich bestimme ich den Kurs von Phaenomenal.net, bin also Dirigent, ich sorge auch für die Themenauswahl, bin also eine Art Kurator, und wie jeder gute Redakteur bin ich aber auch Ko-Autor im Hintergrund, wenn ich die Artikel der Robo-Journalisten überarbeite.

Manchmal lasse ich Teile eines Artikels oder den gesamten Artikel umschreiben, manchmal ändere ich nur selbst ein paar Passagen. Das läuft eigentlich genauso wie in einer traditionellen Redaktion. Nur dass die Autoren hier lediglich aus einem Prompt bestehen, und der Software, die die Anweisungen ausführt.

[H.O.W.]:

Wie erlebst du den redaktionellen Alltag mit deinen Robo-Journalisten? Gibt es typische Herausforderungen oder wiederkehrende Aha-Momente in der Zusammenarbeit mit KI?

[A.W.]:

Ich bin jeden Tag auf’s Neue überrascht, wie reibungslos diese ganz neue Form der Zusammenarbeit klappt. Zum einen ist die Produktivität wirklich verblüffend hoch – ich produziere zusammen mit den Robots ja jeden Tag drei oder vier Artikel mit jeweils so 500 Worten, inklusive der Bebilderung, und dazu noch einen vier- bis fünfminütigen Podcast, der mit Hilfe von Elevenlabs.com von virtuellen Stimmen eingelesen wird. Für all das brauche ich im Schnitt aber nur vier Stunden pro Tag!

Es ist eigentlich sogar Zukunft im Quadrat, denn thematisch geht es ja bei Phaenomenal.net auch um Zukunftsthemen, in einem breiten Mix aus Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Dabei natürlich auch immer wieder um die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz.

Wenn die Robo-Journalisten ganz professionell etwa wie diese Woche über ein Thema wie virtuelle Liebe schreiben, also Beziehungen zwischen Menschen und romantischen Chatbots à la Replika, dann ist das nicht nur ein Aha-Effekt, sondern schon eher ein Wow-Effekt, wenn ich mir den fertigen Text anschaue, und denke: Hier hat jetzt eine Maschine über andere Maschinen geschrieben!

Aha-Effekte gibt es aber auch: Manche Textmängel erinnern mich doch stark an das, was auch Journalisten beim Berufseinstieg so produzieren, etwa misslungene Texteinstiege oder fehlende Schlusspointen. Da greife ich dann eben als Redakteur ein und veredle den Text ein bisschen…

[H.O.W.]:

Phaenomenal.net will den digitalen Wandel nicht nur abbilden, sondern auch mitgestalten – etwa durch neue Formen des kollaborativen Journalismus. Gibt es Rückmeldungen aus dem Publikum oder von Kolleg*innen, die dich besonders überrascht oder gefreut haben?

[A.W.]:

Tja, die Reaktionen sind einerseits ein bisschen so wie damals, als ich mich mit E-Books und E-Reading beschäftigt habe – so in Richtung: „Ach du meine Güte, Texte von Robo-Journalisten, sind das denn überhaupt richtige Texte?“ Andere wiederum lesen einfach nur die Artikel oder hören die Podcasts und merken gar nicht, dass da zwar ein menschlicher Redakteur dahinter steckt, aber kein menschlicher Autor mehr. Bei den Podcasts ist es ja sogar doppelt künstlich – der Text stammt von einer Maschine, die Audio-Version aber auch!

Meine Kollegen hier im Medienbüro Mitte, wo ich Phaenomenal.net produziere, fragen mich dagegen ganz andere Dinge – etwa wenn wir mittags zusammen in die Kantine nebenan gehen: „Na, haben die Robo-Journalisten sich jetzt auch ihre Pause verdient!?“

[H.O.W.]:

Nach über 300 Artikeln und mehr als 20 Podcastfolgen: Welche Rolle könnte KI im Journalismus der Zukunft spielen – und was nimmst du aus dem bisherigen Experiment bei Phaenomenal.net mit für deine eigene Arbeit?

[A.W.]:

Also Digitalisierung von Medien vollzog sich bisher ja oft erstmal längere Zeit im Hintergrund, bei der Produktion, ohne dass der Konsument es merkte – bei Büchern etwa ging das seit in den 1970er Jahren los. E-Books als Endprodukt kamen dagegen erst im 21. Jahrhundert auf. Beim Robo-Journalismus dürfte die neue Technologie aber wohl viel schneller an der Produktoberfläche sichtbar werden. Wir werden bald wohl schon hybride Mischungen zwischen virtuellen und lebendigen Autoren erleben. Virtuelle Redakteure oder sogar Verleger sind vielleicht auch nur noch eine Frage der Zeit – KI-Agenten können ja schon jetzt eine ganze Menge Aufgaben selbständig ausführen.

Phaenomenal.net ist schon jetzt eine Art Showcase für robo-journalistische Produkte, wie sie zukünftig zum Alltag gehören werden. Es soll zeigen: Was ist mit maximalem Einsatz von KI bei minimalem Budget schon jetzt möglich? Mit 20 Stunden Redaktionsarbeit pro Woche, und Ausgaben von vielleicht 50 Euro pro Monat für die Technik? Als Nachrichtenquelle nutzen wir ja dieselben Ressourcen wie andere Wissenschaftsredaktionen auch – also zum Beispiel Pressemitteilungen von diversen Forschungsverbünden, Universitäten oder auch Verteilern wie idw oder eurekalert.

Für die Produktion unserer Inhalte brauchen wir aber überhaupt keine menschlichen Autoren mehr, und auch keine Grafiker, sondern nur einen einzigen (Halbzeit-)Redakteur. Und gestresst fühle ich mich eigentlich nicht dabei – ganz anders als bei meinem ersten Blogprojekt. In der New York Times las ich neulich den schönen Satz: „A significant portion of his job is essentially just supervising an A.I.“ Das beschreibt meinen Job auch ganz gut, wobei Supervision natürlich etwas anderes ist als bloß zuschauen. Ein bisschen mehr tun als nur am Ende des Tages die fertigen Texte auf Phaenomenal.net lesen, möchte ich ja schon noch…

[H.O.W.]:

Ansgar, vielen Dank für das Gespräch!

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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