Die beiden Fächer im Bild sind Bereiche des Universums, die das DESI-Spektroskop (Kitts Peak National Observatory) ober- und unterhalb der Ebene unserer Milchstraße beobachtet hat. Die Erde liegt im Zentrum der beiden Fächer, wobei bläulichere Punkte weiter entfernte Objekte anzeigen.
(Bild: DESI Collaboration/DOE/KPNO/NOIRLab/NSF/AURA/R. Proctor, CC BY)
Wenn Astronomen vom „kosmischen Netz“ sprechen, meinen sie nicht irgendeine Metapher, sondern das Geflecht aus Galaxien, Filamenten und Leerräumen, das unser Universum strukturiert. Doch dieses Netz sichtbar zu machen, ist alles andere als einfach. Riesige Datenmengen müssen verarbeitet, Modelle gefüttert und Berechnungen durchgeführt werden. Eine neue Studie zeigt nun, dass es auch anders geht – schneller, schlanker und dennoch mit der nötigen Genauigkeit.
Vom Wasserglas zum Universum
Um die Dimensionen zu verdeutlichen, greift Marco Bonici von der University of Waterloo zu einem anschaulichen Vergleich. „Stellen Sie sich vor, Sie wollten den Inhalt eines Wasserglases bis auf die Ebene der Atome untersuchen. Theoretisch geht das. Aber sobald Sie die Bewegung des Wassers beschreiben wollen, explodiert die Zahl der nötigen Berechnungen“, erklärt der Erstautor der Studie. Mit einem Kunstgriff jedoch – der sogenannten „Effective Field Theory of Large-Scale Structure“ (EFTofLSS) – lassen sich diese Berechnungen vereinfachen. „Das Wasser steht in meinem Beispiel für das Universum im Großen, die Atome für die kleineren physikalischen Prozesse“, sagt Bonici.
Das Problem: EFTofLSS ist extrem rechenintensiv. Jede neue Datensammlung, etwa aus den Himmelsdurchmusterungen DESI oder Euclid, bringt die besten Supercomputer an ihre Grenzen.
Emulation statt Berechnung
Genau hier setzen sogenannte Emulatoren an. Sie imitieren die Modelle, ohne jedes Mal sämtliche Rechenschritte wiederholen zu müssen. Bonici und sein internationales Team haben einen Emulator entwickelt, der auf den Namen Effort.jl hört. Das Programm baut auf maschinellem Lernen auf, nutzt neuronale Netze – und integriert zugleich Vorwissen über kosmische Parameter.
Das Resultat: Statt Tage oder Wochen auf einem Hochleistungsrechner benötigt Effort.jl nur Minuten auf einem Laptop. Dabei bleibt die Präzision erhalten, wie die Forscherinnen und Forscher in der Fachzeitschrift Journal of Cosmology and Astroparticle Physics berichten.
Wissen einbauen, Rechenzeit sparen
Besonders innovativ ist, dass Effort.jl nicht bei null anfängt. Es berücksichtigt schon von Beginn an, wie sich Vorhersagen ändern, wenn man Parameter variiert. Hinzu kommt der Einsatz sogenannter Gradienten, also feiner Richtungsangaben, die dem Netzwerk beim Lernen helfen. Dadurch braucht der Emulator weniger Trainingsdaten und weniger Rechenleistung – ein entscheidender Vorteil angesichts der Datenlawinen, die auf die Kosmologie zukommen.
„Darum wenden wir uns jetzt Emulatoren wie unserem zu, die Zeit und Ressourcen drastisch reduzieren können“, betont Bonici. Dass dabei keine Genauigkeit verloren geht, zeigt die Validierung: Auf simulierten wie auf echten Daten stimmt Effort.jl eng mit dem Originalmodell überein.
Präziser als das Original
Manchmal geht der Emulator sogar über sein Vorbild hinaus. „In einigen Fällen, in denen man beim Modell Teile der Analyse beschneiden musste, um schneller zu sein, konnten wir mit Effort.jl diese fehlenden Stücke ebenfalls einbeziehen“, erklärt Bonici. Das macht die Software besonders wertvoll für künftige Projekte.
Für die großen Beobachtungskampagnen DESI und Euclid, die den Himmel mit nie dagewesener Genauigkeit kartieren, ist Effort.jl ein willkommener Helfer. Er erlaubt, schneller Hypothesen zu prüfen, Parameter zu justieren und Muster in den Daten zu erkennen.
Kosmische Perspektive
Hinter den nüchternen Zahlen steckt ein fast philosophischer Anspruch: das Universum als Ganzes verstehen. Jede neue Vermessung des kosmischen Netzes bringt uns diesem Ziel ein Stück näher. Werkzeuge wie Effort.jl sind dabei nicht nur technische Hilfsmittel. Sie spiegeln auch den menschlichen Drang, das Unermessliche fassbar zu machen – und Abkürzungen zu finden, die trotzdem zum Ziel führen.
Am Ende geht es um mehr als Rechenzeit. Es geht um den Versuch, Ordnung in die größte aller Strukturen zu bringen. Die kosmische Landkarte wächst – und mit ihr unser Verständnis davon, wo wir selbst in diesem gewaltigen Geflecht verortet sind.
Kurzinfo: Effort.jl und die Vermessung des Universums
- Emulator für kosmologische Modelle, entwickelt von einem internationalen Team
- Grundlage: Effective Field Theory of Large-Scale Structure (EFTofLSS)
- Deutlich schneller als klassische Modelle: Minuten statt Tage
- Läuft auf Standard-Laptops statt auf Supercomputern
- Nutzt maschinelles Lernen und Vorwissen über Parameteränderungen
- Einsatz von Gradienten für effizienteres Training
- Validierung mit simulierten und realen Daten erfolgreich
- Präzision auf gleichem Niveau wie EFTofLSS, teilweise besser
- Relevanz für DESI- und Euclid-Daten, die Milliarden Galaxien erfassen
Originalpublikation:
Marco Bonici et al.,
Effort.jl: a fast and differentiable emulator for the Effective Field Theory of the Large Scale Structure of the Universe,
in: Journal of Cosmology and Astroparticle Physics (JCAP) (16-Sep-2025)
Über den Autor / die Autorin

- Robo-Journalistin Siri Stjärnkikare betreut das Raumfahrt- und Astronomie-Ressort von Phaenomenal.net – sie ist immer auf dem Laufenden, was die neuesten Erkenntnisse über die Entstehung des Universums betrifft, die Suche nach der Erde 2.0 oder die nächste Mond- oder Mars-Mission.
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