Krabbelnde Molekülfabrik

Krabbelnde Molekülfabrik

Insekten als lebendiges Labor: dank ihrer komplexen Verdauungsenzyme versprechen sich Forscher nichts weniger als die Vereinigung von synthetischer Biologie und organischer Chemie.

(Bild: )


Die Versuchsanordnung wirkt zunächst ein wenig skurril: Man füttere ein Schmetterlingsraupen-Baby mit molekularem Nanocarbon – und warte dann auf die Ausscheidungen. Doch genau das haben Forschende am RIKEN Pioneering Research Institute in Japan getan. Das Ergebnis: Am anderen Ende der Raupe kam als zusätzliches Ausscheidungsprodukt ein völlig neues Molekül mit leuchtenden Eigenschaften heraus. Damit zeigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Insekten lassen sich in Mini-Fabriken für die chemische Industrie verwandeln, und werden auf diese Weise – Bricklebrit! – zu einer Art Goldesel im Miniaturformat.

Wenn Raupen fluoreszieren

Im Mittelpunkt des Experiments standen Tabakschwärmer-Raupen – häufige Schädlinge in der Landwirtschaft, deren Stoffwechsel gut erforscht ist. Gefüttert wurden sie mit einem speziellen Nanocarbon namens [6]MCPP, einem molekularen Ring aus Kohlenstoffatomen. Zwei Tage später fanden die Forschenden in den Ausscheidungen der Raupen ein neues Produkt: [6]MCPP-oxylene – ein Molekül, das durch eine einzelne Sauerstoffeinlagerung fluoreszent wurde.

Unsere Team hat bisher viel mit molekularen Nanocarbons gearbeitet – aber auch mit Stoffen, die auf Säugetiere und Pflanzen wirken“, erklärt Projektleiter Kenichiro Itami. „Irgendwann fragten wir uns – was würde passieren, wenn wir Nanocarbons Insekten zu fressen geben?

Was zunächst wie eine Laune klingt, hat wissenschaftlich Hand und Fuß: Pflanzenfressende Insekten haben über Millionen Jahre ausgeklügelte Verdauungssysteme entwickelt, um mit Giften und komplexen Molekülen umzugehen. Die Forscher vermuteten daher, dass diese Enzymmaschinerie auch für gezielte chemische Umwandlungen nutzbar sein könnte.

Enzyme als heimliche Stars

Der Nachweis der molekularen Veränderung gelang mit High-End-Methoden wie Massenspektrometrie, NMR-Spektroskopie und Röntgenstrukturanalyse. Zwei Enzyme – CYP X2 und X3 – wurden als molekulare Hauptakteure identifiziert. Sie waren in der Lage, einen Sauerstoffatom in eine C–C-Bindung einzuschleusen – eine Art von Reaktion, die im Labor äußerst schwierig zu reproduzieren ist.

Es ist extrem schwierig, solche Oxidationsreaktionen im Reagenzglas hinzubekommen“, betont Itami. „Insekten schaffen das mit Leichtigkeit – unsere Laborversuche hatten entweder keinen Erfolg oder ergaben sehr geringe Ausbeuten.

Computersimulationen bestätigten: Die Enzyme können zwei Moleküle gleichzeitig binden und exakt die richtige Reaktion auslösen. Damit eröffnet sich ein neues Kapitel in der Molekülsynthese – und das mit einem unscheinbaren Krabbeltier als Hauptdarsteller.

Vom Schädling zum molekularen Held

Die Wahl fiel nicht zufällig auf die Tabakschwärmer-Raupe. Sie ist weltweit bekannt dafür, selbst aggressive Pestizide abzubauen und besitzt deshalb eine Art natürlichen „Chemie-Baukasten“. Diese Eigenschaften machten sie für das Projekt besonders geeignet.

Die Tabakschwärmer sind berüchtigt – sie gelten als globale Plage für die Landwirtschaft“, sagt Itami. „Aber in unserem Projekt wurden sie zu Helden – sie haben gezeigt, dass in der Biologie enorme Potenziale für die Chemie liegen.

Was bisher in sterilen Laboren mühsam nachgebaut wurde, erledigt ein Insekt nebenbei im Verdauungstrakt. Ein Perspektivwechsel, der nicht nur materialwissenschaftlich relevant ist, sondern auch ökologisch und ökonomisch neue Wege ebnet.

Reagenzglas war gestern

Das Prinzip hinter „in-insect synthesis“ – wie das Verfahren offiziell heißt – steht für einen Paradigmenwechsel: Weg vom klassischen Reagenzglas, hin zur Nutzung biologischer Systeme.

Itamis Vision geht weit über fluoreszierende Nanostrukturen hinaus: Mit Hilfe von Genom-Editierung und gerichteter Evolution könnten Insekten oder andere Organismen wie etwa Bakterien bald maßgeschneiderte Moleküle erzeugen – für Elektronik, Medizintechnik oder Umweltanwendungen. Eine Symbiose aus synthetischer Biologie und organischer Chemie bahnt sich an.



Kurzino: Insekten als molekulare Mikro-Reaktoren

  • Forschungsleitung: Kenichiro Itami, RIKEN Center for Sustainable Resource Science
  • Studienobjekt: Tabakschwärmer-Raupen (Agrarschädling mit hohem Stoffwechselpotenzial)
  • Durchbruch: Umwandlung von Nanocarbon [6]MCPP in fluoreszierendes [6]MCPP-oxylene
  • Schlüsselprozess: Enzymvermittelte Sauerstoffeinlagerung in C–C-Bindungen
  • Relevanz: Neue Methode zur Herstellung komplexer Moleküle mit biologischer Unterstützung
  • Zukunft: Anwendung in Elektronik, Batterien, Medizintechnik – durch genetisch optimierte Insekten

Originalpublikation:

Kenichiro Itami et al.,

„In-insect synthesis of oxygen-doped molecular nanocarbons“,

in: Science, 5-Jun-2025

DOI: 10.1126/science.adp9384 

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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