Wer geschickt zwischen eigenem Lernen und der Beobachtung anderer wechselt, erzielt den größten Lernerfolg – das gilt auch beim Spielen von Minecraft.
(Bild: CC BY – Charley Wu)
Es ist eine Szene wie aus einem digitalen Abenteuerspiel: Ein Avatar irrt durch eine Landschaft aus Klötzchen, sucht Kürbisse oder Wassermelonen – und muss entscheiden, ob er selbst weitergräbt oder dem Funkenschauer folgt, der anderen Spielern ihre Funde verrät. Was nach Freizeitbeschäftigung klingt, ist ein wissenschaftliches Experiment – und zugleich eine neue Perspektive auf ein uraltes Prinzip: das Lernen am Anderen.
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung hat mithilfe des Videospiels Minecraft untersucht, wie Menschen zwischen individuellem und sozialem Lernen wechseln. Das Ergebnis: Wer sein eigenes Wissen dynamisch mit sozialen Informationen kombiniert, lernt erfolgreicher.
Lernen ist keine Einbahnstraße
Im Zentrum des Experiments stand die Frage: Soll ich allein erkunden oder mit der Gruppe kooperieren? Die Teilnehmenden mussten in virtuellen Umgebungen Ressourcen finden – mal allein, mal im Team. Je nach Anordnung der Ressourcen – regelmäßig oder zufällig – war die soziale Information, also das Beobachten anderer, mehr oder weniger hilfreich.
„Das Spiel zwingt die Menschen dazu, ihre Strategie ständig anzupassen“, sagt Ralf Kurvers, Seniorautor der Studie. „Man muss entscheiden: Vertraue ich meiner Intuition oder lerne ich von anderen, die etwas entdeckt haben?“ Genau diese Flexibilität war es, die über Erfolg oder Misserfolg entschied.
Blickbewegungen und Entscheidungswege
Technisch arbeiteten die Forschenden mit einer computergestützten Methode zur Blickdatenerfassung. Zwanzig Mal pro Sekunde wurde aufgezeichnet, worauf die Spielenden achteten – welche Mitspieler, welche Blöcke, welche Ereignisse sie beobachteten. „Wir konnten ein Modell entwickeln, das individuelle Bewegungen und Entscheidungen mit dem beobachteten Verhalten anderer verknüpft“, erklärt Charley Wu von der Universität Tübingen. „Damit lassen sich Lernprozesse nicht nur beschreiben, sondern auch vorhersagen.“
Diese Methode erlaubt nicht nur tiefere Einblicke in soziale Lernprozesse, sondern auch einen Brückenschlag zur Künstlichen Intelligenz. Denn das Modell könnte helfen, Algorithmen zu entwickeln, die ähnlich flexibel lernen wie Menschen – also nicht nur aus Daten, sondern auch durch soziales Beobachten.
Zwischen Imitation und Intuition
Die Ergebnisse widerlegen gängige Klischees vom „Nachahmer“ auf der einen und dem „einsamen Tüftler“ auf der anderen Seite. Menschen, so das Fazit der Studie, halten beide Lernwege dynamisch im Gleichgewicht. Erfolgversprechend ist nicht die eine richtige Strategie, sondern die Fähigkeit, sie situativ zu wechseln.
„Menschen sind keine passiven Kopierer“, so Wu, „sie nutzen soziale Hinweise, wenn sie ihnen helfen – und ignorieren sie, wenn es besser ist, selbst zu entscheiden.“
Lernumgebungen neu denken
Die Studie könnte weit über den Kontext von Minecraft hinaus Bedeutung gewinnen. Denn wer verstehen will, wie Wissen in Gruppen zirkuliert, wie Innovationen entstehen oder wie man Lernplattformen intelligenter gestaltet, kommt an der Frage des sozialen Lernens nicht vorbei.
Lernen, das zeigt sich, ist nicht bloß ein individueller Akt, sondern ein soziales Zusammenspiel – und vielleicht ist der wichtigste Schritt zur Erkenntnis nicht der Griff zum nächsten Block, sondern der Blick auf das, was andere tun.
Soziales Lernen im Überblick
Was ist das?
Lernen durch Beobachtung anderer – im Gegensatz zum individuellen Ausprobieren.
Worum ging es im Experiment?
Teilnehmende suchten in Minecraft-Räumen Ressourcen und mussten zwischen eigenem Erkunden und dem Nutzen sozialer Hinweise entscheiden.
Was wurde untersucht?
Wie Menschen dynamisch zwischen sozialen und individuellen Lernstrategien wechseln – und wie sich das auf den Lernerfolg auswirkt.
Was ist neu an der Methode?
Blickverläufe und Entscheidungsverhalten wurden in Echtzeit erfasst und in ein Vorhersagemodell überführt.
Warum ist das relevant?
Die Studie zeigt, wie Menschen in realistischen Situationen lernen – und liefert Ansätze für Bildung, Innovation und KI.
Originalpublikation:
Wu, C.M., Deffner, D., Kahl, B., Meder, B., Mark, H.H., Kurvers R.H.J.M. Adaptive mechanisms of social and asocial learning in immersive collective foraging (2025). Nature Communications, 16, 3539. https://doi.org/10.1038/s41467-025-58365-6
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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