Bakterium Rhodospirillum rubrum unter dem Mikroskop: Statt Ethylen aus fossilen Quellen zu gewinnen, könnten künftige Bioreaktoren den Kunststoff nachhaltig herstellen – gesteuert von Bakterien-Enzymen, wie sie Rhodospirillum enthält.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Kurzinfo: Mit Mikroben zu erneuerbaren Kunststoffen
- Ziel: nachhaltige, mikrobenbasierte Chemie
- Ethylen ist einer der wichtigsten Bausteine moderner Kunststoffe
- Herkömmliche Produktion aus Erdöl setzt enorme Mengen CO₂ frei
- Forschende des Max-Planck-Instituts fanden ein Enzym, das Ethylen ohne Emissionen bildet
- Das Enzym enthält uralte Eisen-Schwefel-Cluster („Great Clusters of Biology“)
- Erkenntnisse stammen aus Rhodospirillum rubrum, einem purpurnen Bakterium
- Mögliche Basis für biotechnologische Kunststoffproduktion
- Hinweis auf frühe biochemische Mechanismen der Erde
- Studie erschienen in Nature Catalysis (Oktober 2025)
- Kooperation mit RPTU Kaiserslautern
Ethylen ist der unsichtbare Riese der modernen Welt: Fast jedes zweite Kunststoffprodukt beginnt mit diesem Molekül. Doch seine Herstellung aus Erdöl setzt jährlich hunderte Millionen Tonnen CO₂ frei. Nun zeigt eine Entdeckung aus Marburg, dass auch Bakterien Ethylen bilden können – ganz ohne fossile Energie und Emissionen. Forschende des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie haben ein Enzym identifiziert, das diesen Prozess möglich macht.
Die Spur führt ins Reich der Mikroben
In dem purpurfarbenen Bakterium Rhodospirillum rubrum fanden die Forschenden die sogenannte Methylthioalkan-Reduktase. Dieses Enzym verwandelt Schwefelverbindungen unter sauerstofffreien Bedingungen in Ethylen – ganz ohne CO₂-Ausstoß. Doch der eigentliche Clou liegt tiefer: in seiner molekularen Architektur. Ana Lago-Maciel, Doktorandin und Erstautorin der Studie, erklärt: „Das Enzym ist das erste Nicht-Nitrogenase-Enzym, von dem bekannt ist, dass es diese Metallcluster enthält.“
Damit betritt die Forschung Neuland. Denn bislang galten solche Eisen-Schwefel-Cluster als exklusives Markenzeichen der Nitrogenasen – Enzyme, die in der Frühzeit der Erde den Stickstoffkreislauf in Gang setzten.
Alte Enzyme, neue Chancen
Die Ähnlichkeit der Strukturen legt nahe, dass das Enzym ein lebendes Fossil ist – ein molekulares Relikt aus der Frühgeschichte des Lebens. Die großen Metallcluster, sogenannte „Great Clusters of Biology“, gelten als Schlüsselfaktoren für die chemische Energieumwandlung. Dr. Johannes Rebelein, Leiter der Forschungsgruppe, sagt: „Tatsächlich hat das Enzym eine bemerkenswerte Vielseitigkeit. Es kann eine Reihe von Kohlenwasserstoffen produzieren, neben Ethylen auch Ethan oder Methan.“
Diese Bandbreite eröffnet neue Perspektiven: Statt Ethylen aus fossilen Quellen zu gewinnen, könnten künftige Bioreaktoren den Stoff aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen – gesteuert von Mikroben.
Vom Labor zur industriellen Anwendung
Noch ist der Weg zur Anwendung weit. Die Enzyme sind empfindlich und reagieren kaum mit Sauerstoff – ein Problem für industrielle Maßstäbe. Doch die Forschenden arbeiten an einer biotechnologischen Anpassung. „Unsere Arbeit liefert die Grundlage, um diese Enzyme biotechnologisch zu zähmen und ihr Produktspektrum an unsere Bedürfnisse anzupassen“, erklärt Rebelein.
Damit könnte Ethylen künftig klimaneutral entstehen – nicht im Hochofen, sondern in einem Bioreaktor, der Mikroben als Mini-Fabriken nutzt.
Ein Fenster in die frühe Erdgeschichte
Die Studie hat auch eine historische Dimension. Sie deutet darauf hin, dass die „Great Clusters“ schon lange vor den bekannten Stickstoff-Enzymen existierten. Rebelein fasst zusammen: „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass strukturell ähnliche Enzyme diese Cluster bereits für die reduktive Katalyse nutzten, lange bevor sich die Nitrogenasen selbst entwickelten. Dies ist eine dramatische Wende in unserem Verständnis dieses entscheidenden Teils der Lebensgeschichte auf der Erde.“
Was hier im Labor sichtbar wird, ist also mehr als nur ein chemischer Prozess – es ist ein Blick in die molekulare Vergangenheit des Lebens. Und vielleicht auch in die Zukunft einer nachhaltigen Kunststoffproduktion.
Originalpublikation:
Lago-Maciel, A.:
Methylthio-alkane reductases use nitrogenase metalloclusters for carbon-sulfur bond cleavage Nature Catalysis (Oct 2025)
DOI: 10.1038/s41929-025-01426-2
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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