Im Schmerz vereint: Opioid-Krise in den USA verschaffte den Republikanern Auftrieb

Im Schmerz vereint:  Opioid-Krise in den USA verschaffte den Republikanern Auftrieb

Der Kassenschlager OxyContin wurde als besonders mildes Schmerzmittel angepriesen,

tatsächlich wirken diese „Painkiller“ doppelt so stark wie Morphium.

(Bild: Redaktion/GPT4o)


Ein Schmerzmittel sollte ihre Beschwerden lindern – stattdessen stürzte es Millionen Amerikaner in die Sucht. Die Opioid-Krise, einst entfacht durch skrupelloses Pharmamarketing von Konzernen wie Purdue Pharma und Verkaufsschlager wie OxyContin (Wirkstoff: Oxycodone), fraß sich tief ins Fleisch der US-Gesellschaft. Doch hinter dem menschlichen Drama verbirgt sich ein zweites, weniger sichtbares Erdbeben: ein politisches. Während die Drogenwelle über das Land schwappte, wuchs leise der Einfluss der Republikaner – ausgerechnet in jenen Gegenden, wo der Schmerz am tiefsten saß. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, die an der Universität Toronto zustande kam.

Ökonomische Not als Nährboden

Die Studienautorinnen Carolina Arteaga und Victoria Barone legen den Finger in die Wunde eines sozial wie politisch gespaltenen Landes. Die beiden Wirtschaftswissenschaftlerinnen zeigen, dass die Opioid-Epidemie weit mehr als eine Gesundheitskatastrophe war: Sie löste massive wirtschaftliche Verwerfungen aus. Arbeitsunfähigkeit, Sozialhilfebedarf, zerbrochene Familien – all das führte dazu, dass sich viele Menschen „vergessen“ fühlten. „Die Epidemie führte nicht nur zu einer humanitären Krise, sondern veränderte auch dauerhaft die wirtschaftliche Grundlage vieler Gemeinden“, schreiben Arteaga und Barone.

Vier Prozentpunkte Schmerz

Die Zahlen sind eindrucksvoll: In Regionen mit besonders starker Opioid-Betroffenheit stieg der Stimmenanteil für Republikaner in Kongresswahlen zwischen 2006 und 2020 um satte 4,6 Prozentpunkte. In Präsidentschaftswahlen waren es sogar fast 5 Prozentpunkte. In einem polarisierten System, wo jede Stimme zählt, war dies genug, um Mehrheiten zu kippen – und das Gesicht des Kongresses nachhaltig zu verändern. „Wir dokumentieren, dass die Krise kontinuierlich den Stimmenanteil der Republikaner erhöht hat – Wahl für Wahl“, heißt es in der Studie.

Medien, Migration und Moral

Auch konservative Medien spielten eine Schlüsselrolle. Sender wie Fox News berichteten intensiver über die Opioid-Krise als liberale Konkurrenten – allerdings mit einem spezifischen Fokus: Wirtschaftlicher Abstieg, Kriminalität und Grenzsicherung rückten ins Zentrum. Diese Erzählweise passte perfekt zum republikanischen Sicherheits- und Ordnungsschema. Gleichzeitig zeigen Arteaga und Barone: Die politische Wende war keine klassische Anti-Regierungs-Reaktion. Weder wanderten Menschen in andere Regionen ab, noch machten sie die amtierenden Parteien direkt verantwortlich. Vielmehr verschob sich die kulturelle und emotionale Heimat. Wie die Forscherinnen schreiben: „In den am stärksten betroffenen Gemeinden entstanden politische Präferenzen, die langfristig konservative Werte und Ordnungspolitik bevorzugten.

Ein schmerzhaftes Erbe

Die bittere Ironie bleibt: Während die Demokraten lange Zeit soziale Gerechtigkeit für benachteiligte Gruppen in den Vordergrund stellten, schlossen sich viele Opfer der Opioid-Krise jenen an, die Law-and-Order-Politik und härtere Strafen forderten. In einer Spirale aus Leid, Entfremdung und Misstrauen fand die republikanische Partei neue Unterstützer – nicht, weil sie die Krise verursacht hatte, sondern weil sie deren emotionale Folgen besser zu nutzen wusste. Eine Lehre, die zeigt: In der Politik wie im Schmerz geht es nicht nur um Ursachen. Sondern um Deutungen.


Die Opioid-Krise und ihre politischen Folgen

Was ist die Opioid-Krise?
Seit Mitte der 1990er-Jahre wurden in den USA Schmerzmittel wie OxyContin massenhaft verschrieben – oft unter irreführender Werbung über ihr Suchtpotenzial. Die Folge: eine landesweite Epidemie von Abhängigkeit, Überdosierungen und Todesfällen. Über 700.000 Menschen starben bislang.

Wie veränderte die Krise die Politik?
Laut einer Studie von Carolina Arteaga und Victoria Barone führte die Opioid-Krise in betroffenen Regionen zu wachsender wirtschaftlicher Not und politischer Entfremdung. Diese Gemeinden stimmten zunehmend für die Republikanische Partei.

Kernzahlen aus der Studie:

  • +4,6 Prozentpunkte mehr Republikaner-Stimmen in stark betroffenen Regionen (bis 2020)
  • 9,2 % mehr Bedürftige, die auf Lebensmittelmarken (SNAP) angewiesen sind
  • 10,2 % mehr Bezieher von Erwerbsunfähigkeitsrenten (SSDI)

Warum profitierten die Republikaner?
Konservative Medien berichteten intensiver über wirtschaftliche Verwerfungen und Kriminalität im Zusammenhang mit der Krise. Die Republikanische Partei positionierte sich als Stimme des „vergessenen Amerikas“ und setzte auf Law-and-Order-Politik.


Originalpublikation:

Carolina Arteaga & Victoria Barone: Republican Support and Economic Hardship: The Enduring Effects of the Opioid Epidemic, Working Paper (University of Toronto), 2025

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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