Je höher die Biodiversität, desto gesünder ist ein Biotop – ob es sich nun um einen Urwald oder den Stadtpark handelt. Menschen scheinen ein Auge – und ein Ohr – für den Artenreichtum in ihrer Umgebung zu haben. Das könnte in Zukunft Auswirkungen auf die Stadt- und Landschaftsplanung haben, denn mit der wahrgenommenen Diversität steigt auch das psychische Wohlbefinden.
(Bild: K. Rozario / iDiv)
Ein Flüstern im Blätterdach, ein farbenfrohes Spiel aus Licht und Schatten, das Zwitschern von Vögeln: All das ist mehr als bloße Waldkulisse – es ist Ausdruck von biologischer Vielfalt. Und das Erstaunliche: Menschen nehmen diese Vielfalt nicht nur intuitiv wahr, sie können sie auch recht genau einschätzen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Jena, des UFZ sowie der Universität Leipzig. Sie zeigt: Biodiversität ist nicht nur messbar – sie ist auch sinnlich erfahrbar.
Zwischen Fotografie und Vogelstimme
Für die Untersuchung wurden zwei Gruppen von Probandinnen und Probanden je 48 Personen gebildet. Die eine Gruppe hörte Tonaufnahmen aus Wäldern mit unterschiedlichem Artenreichtum, die andere sah Fotografien derselben Orte. Beide Gruppen sollten die wahrgenommene Vielfalt bewerten. Das Ergebnis: In beiden Fällen stimmte die Einschätzung überraschend gut mit der tatsächlich gemessenen Biodiversität überein – akustisch sogar etwas besser als visuell.
„Die Teilnehmenden konnten Unterschiede in der Biodiversität wahrnehmen, wenn sie Waldaufnahmen visuell oder akustisch miteinander verglichen und sortierten“, erklärt Koautor Kevin Rozario. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mit den Augen wahrgenommene Waldbiodiversität von der Dichte und Struktur des Waldes, den Lichtverhältnissen und den Farben abhängt, während beim Anhören der Aufnahmen die Melodie der Vogelstimmen, sowie physikalische Eigenschaften wie die subjektive Lautstärke und die wahrgenommenen jahreszeitlichen Merkmale eine Rolle spielten.“
Die Studie kombiniert erstmals Erkenntnisse aus der Umweltpsychologie mit Methoden der Wald- und Umweltakustik – und bringt damit neue Perspektiven für Naturschutz und Stadtplanung ins Spiel.
Wahrnehmung ist mehr als Gefühl
Spannend ist dabei nicht nur die Erkenntnis, dass Menschen Biodiversität wahrnehmen können – sondern wie. Im visuellen Bereich beeinflussten vor allem Farbgebung, Lichtstimmung, Vegetationsdichte und Waldstruktur die Einschätzung. Akustisch waren es Vogelgesänge, Lautstärke und saisonale Klangmuster – zum Beispiel typische Frühlingsgeräusche. Dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Töne sogar etwas präziser bewerten konnten, könnte daran liegen, dass Tonaufnahmen weniger ablenkende Details enthalten als Bilder.
Die Fähigkeit, Biodiversität zu erkennen, ist dabei nicht nur eine nette Randnotiz. Sie könnte zur Grundlage für gezielte Maßnahmen werden – etwa bei der Gestaltung städtischer Grünflächen oder Erholungsräume mit hoher ökologischer und ästhetischer Qualität.
Mehr Natur wagen – auch in der Stadt
Für die Hauptautorin Aletta Bonn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und iDiv ist klar: Die Ergebnisse haben direkte Relevanz für Planung und Politik. „Wenn Städte wachsen und sich natürliche Räume verändern, bietet die Gestaltung von urbanen Umwelten mit hoher visueller und akustischer Vielfalt eine Chance, die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu stärken – zugunsten von Artenvielfalt und Wohlbefinden“, sagt die Biodiversitätsforscherin.
Denn bereits frühere Studien hatten gezeigt, dass eine hohe wahrgenommene Artenvielfalt mit positiven Effekten auf das psychische Wohlbefinden einhergeht – unabhängig von der tatsächlichen Baumartenanzahl. Wer sich also in einem „vielfältigen“ Wald aufhält, fühlt sich besser – auch wenn er die Arten selbst nicht benennen kann.
Vom Erkenntnisgewinn zur Handlungsempfehlung
Die Studie liefert somit mehr als nur akademische Einsichten: Sie zeigt, dass Biodiversität ein ästhetisch wahrnehmbares Phänomen ist – mit Wirkung auf unser Wohlbefinden und unsere Haltung zur Natur. Umso wichtiger ist es, dass diese Erkenntnisse in künftige Planungen einfließen.
Allerdings weisen die Forschenden auch auf offene Fragen hin. So war die Testgruppe relativ homogen zusammengesetzt – etwa nach Alter und kulturellem Hintergrund. Künftige Studien sollen prüfen, ob sich die Ergebnisse auf breitere Bevölkerungsgruppen übertragen lassen.
Eines aber steht fest: Wer auf Vogelgesang hört oder die Lichtspiele eines vielfältigen Waldes betrachtet, nimmt mehr wahr als bloße Kulisse. Es ist ein sinnliches Echo der Artenvielfalt – und vielleicht ein Schlüssel dafür, sie künftig besser zu schützen.
Kurzinfo: Biodiversität ist sinnlich erfahrbar
- Stichprobenumfang: 96 Teilnehmende in zwei Gruppen
- Methodik: Bewertung von Tonaufnahmen und Fotografien aus Wäldern mit unterschiedlicher Biodiversität
- Ergebnis: Wahrgenommene Biodiversität stimmte mit messbarer Artenvielfalt überein
- Relevanz: Potenzial für Städtebau, Umweltbildung, mentale Gesundheit
- Empfehlung: Naturnahe Räume mit vielfältiger Vegetation und Vogelstimmen bewusst gestalten
Originalpublikation:
Rozario K. et al.,
„Perceived biodiversity: is what we measure also what we see and hear?“,
in: People and Nature (2025)
DOI: 10.1002/pan3.70087
Über den Autor / die Autorin

- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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