Nah statt fern: 15-Minuten-Stadt in Deutschland schon vielerorts Realität

Nah statt fern: 15-Minuten-Stadt in Deutschland schon vielerorts Realität

Gerade in Klein- und Mittelstädten ist die Stadt der kurzen Wege hierzulande schon konkrete Realität, zeigt die Studie des Bundesinstituts für Stadt- und Raumforschung. Verbesserte Stadtplanung könnte aber auch in den großen Metropolen die Vision bald Realität werden lassen.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


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Ein kurzer Weg zum Supermarkt, zur Kita, zum Hausarzt – für viele klingt das wie ein Luxus urbaner Szeneviertel. Doch was als Idealbild der „15-Minuten-Stadt“ gilt, ist in Deutschland überraschend häufig Realität. Das zeigt eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Stadt- und Raumforschung (BBSR), die die Erreichbarkeit zentraler Alltagsfunktionen in allen Kommunen untersucht hat. Das Ergebnis: Drei Viertel der relevanten Einrichtungen lassen sich im Schnitt in maximal 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad erreichen.

Mehr als ein Konzept für Großstädte

Die Idee zur „Stadt der kurzen Wege“ wurde in ihrer heutigen Form 2016 von Carlos Moreno formuliert, Professor an der Pariser Sorbonne-Universität. Der aus Kolumbien stammende Stadtforscher und Innovationsberater entwickelte das Leitbild der „15-Minuten-Stadt“ als Antwort auf drängende Herausforderungen wie Klimakrise, soziale Spaltung und Verkehrsinfarkt in wachsenden Metropolen. Sein Ziel: ein urbaner Alltag, der auf Nähe statt auf Pendeln basiert – mit lebendigen Quartieren, die Wohnen, Arbeiten, Bildung, Versorgung und Freizeit verbinden.

Wie nah sind Apotheke, Bibliothek oder Schwimmbad?

Die nun vorgelegte Studie des BBSR analysiert, wie viel dieser Idee bereits in deutschen Städten Realität ist. Sie basiert auf 24 typischen Einrichtungen – vom Spielplatz bis zur Apotheke – und berücksichtigt neben der durchschnittlichen Gehgeschwindigkeit auch die Mobilität von Kindern oder älteren Menschen. Für weniger frequentierte Ziele wie Bibliotheken oder Schwimmbäder wurde das Fahrrad als Maßstab herangezogen. Das Bild, das sich daraus ergibt, widerspricht einem verbreiteten Klischee: Nicht nur hippe Innenstadtviertel, sondern auch viele Klein- und Mittelstädte schneiden sehr gut ab.
Unsere Auswertungen zeigen, dass die 15-Minuten-Stadt vielerorts bereits Realität ist“, sagt Dr. Brigitte Adam, Projektleiterin im BBSR. In Gemeinden, die kompakte Siedlungsstrukturen aufweisen, können wir gute Bedingungen für kurze Wege nachweisen – sowohl in Kleinstädten als auch in Mittelstädten und Großstädten.

Stadt der Viertelstunde – gelebter Alltag

Insgesamt zeigt sich, dass auch viele Großwohnsiedlungen und Gartenstädte über ein erstaunlich gutes Nahversorgungsangebot verfügen. Die Vorstellung, nur wohlhabende Bevölkerungsschichten hätten Zugang zu kurzen Wegen, wird durch die Studie klar widerlegt.
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass nur Großstädte oder hippe Gründerzeitviertel kurze Wege ermöglichen“, sagt Adam.
Unsere Daten belegen, dass funktional durchmischte Quartiere mit kurzen Wegen auch in Großwohnsiedlungen oder Gartenstädten möglich sind.

Auch das soziale Profil der Bewohner spricht eine andere Sprache: In den analysierten Quartieren leben Menschen unterschiedlichster Herkunft. Die Sorge, gute Erreichbarkeit führe automatisch zur Verdrängung ärmerer Haushalte, habe sich nicht bestätigt, so Adam.

Kurze Wege, große Wirkung

Die Idee der 15-Minuten-Stadt ist mehr als ein planerisches Ideal. Sie adressiert konkrete Herausforderungen: Klimaschutz, soziale Teilhabe, Mobilitätswandel. Wer weniger auf das Auto angewiesen ist, schont nicht nur die Umwelt, sondern gewinnt auch Zeit – für Familie, Ehrenamt oder Erholung.
Wenn wir wollen, dass Menschen sich im Alltag häufiger zu Fuß oder mit dem Rad fortbewegen, müssen wir die Bedingungen dafür konsequent verbessern“, betont Adam.

Zu diesen Bedingungen zählt unter anderem eine bessere Infrastruktur für die sogenannte aktive Mobilität: breitere Gehwege, sichere Radstreifen, barrierefreie Übergänge. Die Studie empfiehlt zudem, bestehende Gebäude umzunutzen, leerstehende Flächen zu beleben und die Wohn- und Funktionsnutzung enger zu verzahnen.

Zwischen Wahlfreiheit und realem Angebot

Die Untersuchung zeigt aber auch, dass es nicht nur auf räumliche Nähe ankommt. In den Fokusgruppen wurde deutlich, dass Menschen längere Wege oft in Kauf nehmen – weil das Angebot vor Ort als unpassend oder zu eingeschränkt empfunden wird. Wahlfreiheit sei oft wichtiger als pure Entfernung. Daraus ergibt sich ein Auftrag an die Stadtplanung: Naherreichbarkeit muss mehr sein als reine Distanz – sie muss echte Qualität und Vielfalt bieten.

Die Stadt, die wir schon haben

Die gute Nachricht: Viele der nötigen Maßnahmen lassen sich ohne große Gesetzesreformen umsetzen – durch kommunale Zusammenarbeit, kluge Planung und gezielte Förderung.
Nicht jede Stadt braucht ein neues Leitbild“, sagt Adam.
Aber die 15-Minuten-Stadt bietet einen klugen Orientierungsrahmen – und viele Maßnahmen lassen sich schon heute auf Basis geltenden Rechts umsetzen. Maßnahmen, die unsere Städte grüner, gesünder und lebenswerter machen.

Die 15-Minuten-Stadt ist also kein ferner Traum. Sie ist ein konkreter Möglichkeitsraum – und in vielen Teilen des Landes längst gelebte Realität.

Kurzinfo: Was die Studie zur 15-Minuten-Stadt zeigt

  • Erfinder: Carlos Moreno, Sorbonne-Professor, Innovationsforscher, geb. in Kolumbien
  • Studie 2025: Bundesinstitut für Stadt- und Raumforschung (BBSR)
  • Erfassung von 24 Einrichtungen des Alltags
  • 75 Prozent der Ziele in Deutschland in 15 Minuten erreichbar
  • Berücksichtigung unterschiedlicher Altersgruppen und Mobilitätsformen
  • Gute Nahversorgung auch in Kleinstädten und Gartenstädten
  • Handlungsempfehlungen: Mischnutzung, sichere Wege, Bürgerbeteiligung
  • Ziel: Lebensqualität, Umweltentlastung, soziale Teilhabe stärken

Originalpublikation:

„Die Stadt der Viertelstunde“,

hrsg. vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- u. Raumforschung
(BBSR), Reihe BBSR-Online-Publikation (27/2025)
Download: ww.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2025/bbsr-online-027-2025.html

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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