Erster KI-Ingenieur erschaffen

Erster KI-Ingenieur erschaffen

Der KI-Ingenieur besteht unter der Haube aus verschiedenen Instanzen – der Input wird vorbereitet, in einen Prompt verwandelt und das Ergebnis ausgewertet.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


In einem Büro mit Blick über das Neckartal tüftelt ein Ingenieur der besonderen Art: Er braucht keine Pause, keine Motivation – und kein Gehalt. Sein Name: OpenFOAMGPT. Der erste künstliche Ingenieur der Welt stammt aus Stuttgart, genauer gesagt vom Exzellenzcluster SimTech der Universität und der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik. Entwickelt wurde er von Dr. Xu Chu und seinem Team – als ein System, das mehr kann als rechnen: Es denkt, schreibt und lernt.

Ingenieur mit vier Köpfen

OpenFOAMGPT ist kein singuläres System, sondern ein Kollektiv aus vier sogenannten KI-Agenten. Jeder übernimmt eine spezifische Rolle: Der „Vorarbeiter“ analysiert die Aufgabe, der „Prompter“ formuliert zielgenaue Anweisungen, der namensgebende Hauptagent führt die Simulationen durch – mithilfe der Open-Source-Software OpenFOAM –, und der „Nacharbeiter“ wertet die Ergebnisse aus. Die Stärke des Systems liegt in der engen Verzahnung dieser Software-Komponenten, kombiniert mit einem Large Language Model.

Unser KI-Ingenieur arbeitet sehr gründlich und zuverlässig, eben wie ein schwäbischer Ingenieur“, sagt Xu Chu, der seit 20 Jahren in Stuttgart lebt und sich mit dem regionalen Perfektionismus bestens identifiziert.

Fünf Testfälle, hundert Wiederholungen

Ein System, das Berechnungen ausführt, ist nichts Neues. Doch OpenFOAMGPT geht deutlich weiter. Um seine Zuverlässigkeit zu prüfen, haben die Forschenden fünf komplexe Fallstudien aus der Strömungsmechanik durchgerechnet – vom simplen Kanalfluss bis hin zu mehrphasigen Strömungen in porösen Gesteinen. Manche Szenarien wurden bis zu hundertmal wiederholt. Die Resultate blieben konstant.

Das hat uns selbst überrascht und auch ein bisschen erschreckt“, berichtet Chu. „Wenn ich beispielsweise ein Bild von mir in ChatGPT hochlade und zehnmal frage, ob ich gut darauf aussehe, erhalte ich zehn verschiedene Antworten. Das geht bei Ingenieursfragestellungen natürlich nicht“. Für ihn ist klar: Reproduzierbarkeit ist hier kein nettes Feature, sondern essenziell.

Manuskripte ohne menschliches Zutun

Doch das Team aus Stuttgart dachte weiter. Es genügte Chu nicht, dass OpenFOAMGPT rechnen kann – er wollte, dass es forscht. So entstand „Turbulence.ai“, ein System, das auch neue wissenschaftliche Ideen entwickeln, Simulationen planen, Ergebnisse bewerten und ganze Artikel schreiben kann. Ein erstes Manuskript über zweiphasige Strömungen liegt bereits vor.

Da die Strömungsmechanik ein Forschungsfeld mit zahlreichen unbeantworteten Fragen ist, könnte der KI-Wissenschaftler die Wissenschaft damit unendlich bereichern“, erklärt Chu.

Turbulence.ai arbeite wie ein echter Forscher: Hypothesen werden formuliert, auf Plausibilität geprüft, Fehler korrigiert und Daten anschaulich aufbereitet. Der Mensch greift dabei nicht mehr ein – nicht beim Schreiben, nicht beim Strukturieren, nicht beim Schlussfolgern.

Vom Autotüftler zum KI-Erfinder

Xu Chu selbst verkörpert den Spagat zwischen Tradition und Zukunft. Geboren in China, kam er für den Diplom-Ingenieur-Titel nach Stuttgart – ein Prädikat, das für ihn sinnbildlich für deutsche Ingenieurskunst steht. Er studierte, promovierte und habilitierte an der Universität Stuttgart. Heute forscht er auch an der Universität Exeter in England.

Sein Ziel: die Intelligenz des Menschen mit der Verlässlichkeit der Maschine zu kombinieren. Nicht, um Ingenieurinnen und Ingenieure zu ersetzen, sondern um sie zu entlasten – und wissenschaftliche Erkenntnis zu beschleunigen. Dass dabei ein System entstanden ist, das sich ohne menschliche Hilfe durch den Dschungel der Strömungsmechanik schlägt, ist ein Meilenstein.

Simulationen als intellektuelle Ressource

OpenFOAMGPT und Turbulence.ai sind mehr als technische Spielereien. Sie könnten die Art, wie in der Technik geforscht wird, grundlegend verändern – nicht durch Schnellschüsse, sondern durch Geduld, Struktur und Wiederholbarkeit.

Mein Team und ich konnten so manche Nacht nicht mehr gut schlafen, weil wir gesehen haben, was es bedeutet, wenn das System so zuverlässig arbeitet“, sagt Chu. Die Vision: Zugang zu unerschöpflichen geistigen Ressourcen – ein Superlabor aus Daten, Logik und Lernfähigkeit. Die Technik ist bereit. Die Frage ist nun: Ist es die Forschung auch?


Der KI-Ingenieur auf einen Blick:

  • Name: OpenFOAMGPT
  • Entwickler: Dr. Xu Chu, Universität Stuttgart
  • Bestandteile: Vier KI-Agenten + Large Language Model + OpenFOAM
  • Funktionen: Simulation strömungsmechanischer Prozesse, Analyse, Visualisierung, autonomes Schreiben
  • Einsatzbereiche: Aerodynamik, Erdöltechnik, Kanalströmungen
  • Verlässlichkeit: Reproduzierbare Ergebnisse bei bis zu 100 Wiederholungen
  • Erweiterung: Turbulence.ai – eigenständiger KI-Forscher
  • Besonderheit: Verfasst wissenschaftliche Artikel völlig autonom
  • Vision: Zugang zu unbegrenzter intellektueller Kapazität für Ingenieurwissenschaften
  • Zitat Chu: „Unser KI-Ingenieur arbeitet sehr gründlich – wie ein schwäbischer Ingenieur“

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