„Nützlich sein und erfreuen“ soll die Kunst, so die klassische Weisheit: beim Social Prescribing wird genau auf diese Wirkung gesetzt
(Bild: Redaktion/GPT4o)
In einem Berliner Wartezimmer hängt ein expressionistisches Gemälde – nicht als Dekoration, sondern als Therapieansatz. In London verschreibt der Hausarzt keinen Blutdrucksenker, sondern eine Ausstellung im Stadtteilmuseum. Und in Wien untersucht ein Forschungsteam, wie schon das bloße Betrachten von Kunst unsere Psyche positiv beeinflussen kann. „Kunst auf Rezept“ – was zunächst wie ein kulturpolitischer Slogan klingt, entwickelt sich zunehmend zum ernstzunehmenden Ansatz in der Gesundheitsförderung.
Kunst heilt nicht – aber sie hilft
Eine groß angelegte internationale Studie der Universität Wien bringt neue Erkenntnisse: Allein das Betrachten von Kunst kann das subjektive Wohlbefinden steigern – insbesondere, wenn dies wiederholt und reflektierend geschieht. „Kunst wird oft als Luxus betrachtet“, sagt die Psychologin MacKenzie Trupp, Hauptautorin der Studie. „Aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sie einen erheblichen Beitrag zur psychischen Gesundheit leisten kann.“
Analysiert wurden 38 Studien mit über 6.800 Teilnehmenden aus zwei Jahrzehnten. Die stärksten Effekte fanden sich auf das sogenannte eudämonische Wohlbefinden – das Gefühl von Sinn, Zugehörigkeit und persönlicher Entwicklung. Kurz gesagt: Kunst kann helfen, sich wieder als Mensch zu fühlen.
Emotion, Identität, Gemeinschaft
Fünf psychologische Mechanismen wurden identifiziert, über die Kunst wirkt: emotionale Emotionsregulierung, kognitive Aktivierung, soziale Bindung, Selbstreflexion und Resilienzförderung. Ob bei der Führung durch ein Museum oder beim stillen Betrachten eines Werks im Krankenzimmer – Kunst lädt zum Nachdenken ein, kann Erinnerungen hervorrufen, Trost spenden, den Blick weiten.
Besonders wirksam sei laut Studie die Kombination aus Kunstbetrachtung und begleitender Reflexion, etwa durch Gespräche oder kreative Aufgaben. Diese Kombination macht Kunst nicht nur konsumierbar, sondern verarbeitbar – und im besten Fall heilsam.
Soziales Rezept: Kultur auf Krankenschein?
Während in Österreich und Deutschland noch geforscht wird, ist man in England bereits weiter. Dort hat sich das sogenannte „Social Prescribing“ etabliert – ein System, bei dem Ärzt:innen ihre Patient:innen an sogenannte Link Worker überweisen, die sie gezielt an nicht-medizinische Angebote vermitteln: Theaterkurse, Laufgruppen oder eben Kunst.
In Deutschland laufen erste Modellversuche, etwa unter der Leitung der Charité Berlin. Prof. Wolfram Herrmann, Koordinator eines europäischen Forschungsprojekts, sagt: „Das Soziale Rezept ist ein innovatives Konzept, um Menschen mit sozialen Problemen an Angebote vor Ort zu vermitteln.“ Es sei besonders für gefährdete Gruppen vielversprechend – etwa Alleinlebende, Geflüchtete oder Menschen in belastenden Lebenssituationen.
Kultur als Kassenleistung?
Kunst allein heilt natürlich keine Depression. Aber sie kann Perspektiven öffnen, Selbstwirksamkeit stärken, das Gefühl von Isolation mindern – insbesondere in Kombination mit begleitenden Maßnahmen. Das machen die Studien deutlich. Vielleicht führt der Weg zum seelischen Gleichgewicht in Zukunft also tatsächlich auch mal durch die Museumstür – mit Rezept in der Hand.
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- Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.
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