Stille Giganten auf letzter Fahrt: Neue Wege für das Schiffsrecycling gesucht

Stille Giganten auf letzter Fahrt: Neue Wege für das Schiffsrecycling gesucht

Mehr Transparenz beim Umgang mit alten Schiffen könnte helfen, die Abwrack-Praktik im globalen Süden zu verbessern.

(Bild: Redaktion/GPT4o)


Wenn ein Schiff geboren wird, verläuft das sehr festlich. Es wird getauft, bejubelt, mit Flaggen geschmückt. Stirbt es, geschieht das meist heimlich, still und schmutzig – an Stränden in Bangladesch oder Indien. Inmitten von Ölpfützen und rostigen Stahlkolossen schlagen Arbeiter ohne Schutzkleidung mit Vorschlaghämmern auf Stahlplatten ein. Acht von zehn ausgedienten Schiffen werden dort von Hand zerlegt. Was bleibt, ist ein Cocktail aus Schwermetallen, Asbest und abblätternder Farbe – und daraus resultierende Schäden an Mensch und Umwelt.

Der Preis der billigen Entsorgung

Die Doktorandin Anja Binkofski vom Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) kennt diese Szenerien gut. Sie forscht über nachhaltiges Schiffsrecycling in Deutschland. Das steht vor einem Problem: „Viele Reeder flaggen ihre Schiffe kurz vor der letzten Fahrt aus, um europäisches Recht zu umgehen“, erklärt sie. So sparen sie Geld, gehen aber auf Kosten von Mensch und Umwelt. „Die Arbeiter an den Stränden haben keine Chance, sich zu schützen. Und giftige Stoffe landen direkt im Meer.“

Eine Konvention und viele Hoffnungen

Am 26. Juni 2025 tritt allerdings die sogenannte Hongkong-Konvention in Kraft. Sie verlangt nicht nur faire Löhne, sondern auch sichere Arbeitsbedingungen und endlich auch Umweltstandards beim Schiffsrecycling. Ein Hoffnungsschimmer, doch die Umsetzung ist komplex. „Die Konvention ist ein politisches Signal, aber sie ist nicht rechtlich bindend. Wer kontrolliert die Einhaltung?“, fragt Binkofski. Immerhin: Für Schiffe unter EU-Flagge gilt bereits seit 2019 ein Gefahrstoffinventar – ein erster Schritt in Richtung Transparenz.

Schrott oder Chance?

Deutschland, so hofft Binkofski, könnte Teil der Lösung sein. In Norddeutschland gibt es erste Werften, die sich für das Recycling interessieren. „In Bremerhaven, Niedersachsen und Stralsund laufen Gespräche. Doch hohe Lohnkosten, Umweltauflagen und fehlende Standards bremsen viele aus.“ Dabei wäre der Bedarf da. Schiffe werden immer größer, Kreuzfahrten boomen, und mit ihnen die Frage: Wohin mit den Stahlriesen am Ende ihrer Reise?

Stahl für die Zukunft

Ein nachhaltiges Schiffsrecycling könnte nicht nur Ökosünden vermeiden, sondern auch helfen, Emissionen zu sparen. Laut einer Studie des ZMT könnten 80 bis 90 Prozent der CO₂-Emissionen eingespart werden, wenn Stahl aus alten Schiffen recycelt statt neu produziert wird. „Mit einer intelligenten Kreislaufwirtschaft könnte Deutschland nicht nur in Sachen Umwelt, sondern auch wirtschaftlich profitieren“, sagt Binkofski. Die studierte Kulturwissenschaftlerin sieht in der Wiederverwertung eine Chance für Werften und strukturschwache Regionen. Noch steht das Konzept am Anfang. Aber vielleicht wird in Zukunft der letzte Weg eines Schiffes nicht mehr fernab in aller Heimlichkeit vollzogen, sondern direkt vor unseren Augen.


Schiffsrecycling im Faktencheck

Wo landen alte Schiffe heute?
80 % in Bangladesch, Indien, Pakistan
Meist illegale Umflaggung vor der letzten Reise
Abbau ohne Schutz für Mensch & Umwelt

Was bringt die Hongkong-Konvention?
Faire Löhne & sichere Arbeitsbedingungen
Umweltauflagen & Gefahrstoffinventare
In Kraft ab Juni 2025, aber nicht rechtlich bindend

Chancen für Deutschland
Erste Werften in Bremerhaven, Niedersachsen, Stralsund interessiert
Bis zu 90 % CO₂-Einsparung durch Stahlrecycling
Strukturwandel durch Kreislaufwirtschaft möglich

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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