Wie Genvielfalt das Korn der Zukunft widerstandsfähig macht

Wie Genvielfalt das Korn der Zukunft widerstandsfähig macht

Um den Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung zu decken, muss die Weizen-Produktion in den kommenden 40 Jahren um rund 60 Prozent steigern – die verborgene genetische Vielfalt der Pflanze könnte entsprechende Züchtungserfolge möglich machen.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Im Inneren eines Weizenkorns steckt mehr genetische Vielfalt, als jahrzehntelang vermutet wurde. Forschende des britischen Earlham Institute haben diese verborgene Fülle nun sichtbar gemacht – und könnten damit helfen, eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit fit zu machen für die Ära von Dürre, Hitze und Ernährungsdruck. Denn während sich die Weltbevölkerung rasant vermehrt, stagniert der Ertrag auf vielen Feldern. Neue genetische Einsichten könnten nun zum Wendepunkt werden.

Das Korn, das die Welt ernährt

Weizen ist das am weitesten verbreitete Getreide der Erde – jährlich wachsen über 215 Millionen Hektar davon, von Kanada bis Kasachstan. Doch um den Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung zu decken, müssten Züchterinnen und Züchter die Produktion in den kommenden 40 Jahren um rund 60 Prozent steigern. Gleichzeitig schrumpfen die Anbauflächen, Böden versalzen, und Dünger verteuern sich. In dieser Lage verspricht die nun entdeckte genetische Vielfalt einen Ausweg: Sie zeigt, wie unterschiedlich Weizensorten ihre Gene aktivieren – und welche Kombinationen sie besonders widerstandsfähig machen.

Ein Blick ins schlafende Erbgut

Das Team am Earlham Institute kartierte erstmals das sogenannte Wheat Pan-Transcriptome – eine Art globaler Aktivitätsatlas des Weizengenoms. Er verrät, welche Gene wann „sprechen“ und welche still bleiben. „Wir haben Schichten verborgener Vielfalt über moderne Weizenvarianten hinweg sichtbar gemacht. Diese Diversität erklärt wahrscheinlich, warum Weizen in so vielen Weltregionen gedeiht“, sagt Studien-Co-Autorin Rachel Rusholme-Pilcher. „Wir entdeckten, wie Gruppen von Genen als regulatorische Netzwerke zusammenarbeiten, um Genexpression zu steuern. Diese Unterschiede zwischen Sorten eröffnen neue Quellen genetischer Vielfalt, die entscheidend sein könnten, um die Widerstandskraft des Weizens zu erhöhen.“

Solche Netzwerke zeigen, dass Pflanzen nicht einfach ihre Gene „besitzen“, sondern sie nutzen – unterschiedlich, flexibel, umweltabhängig. Genau diese Dynamik will die Züchtungsforschung künftig gezielt einsetzen.

Globale Zusammenarbeit für ein Korn

An dem Projekt waren Institute aus mehr als zehn Ländern beteiligt, darunter Australien, Japan, Deutschland und Kanada. Mit modernsten Sequenzierverfahren gelang es, die RNA-Muster verschiedener Weizensorten zu vergleichen. Manuel Spannagl vom Helmholtz Zentrum München erläutert: „Der neue Expressionsatlas erlaubte es uns, den Gengehalt der Kultursorten unabhängig vorherzusagen und zu vergleichen. Mithilfe der Pan-Transkriptomdaten konnten wir deutliche Unterschiede in der Prolamin-Superfamilie und den immunreaktiven Proteinen erkennen.“ Diese Erkenntnisse sind nicht nur biologisch spannend, sondern auch praktisch relevant: Sie helfen, Sorten zu entwickeln, die glutenärmer, hitzehärter oder nährstoffeffizienter sind.

Technologie trifft Ackerboden

Der Erfolg beruht auf Hightech-Methoden: sogenannte Transcript Isoform Sequencing und de novo Annotation, durchgeführt von den Genomics- und Bioinformatics-Teams des Earlham Institute im Rahmen der BBSRC-geförderten National Bioscience Research Infrastructure. Karim Gharbi, Leiter der technischen Genomik, sagt: „Diese Arbeit zeigt, wie Technologie neue Biologie sichtbar macht – in diesem Fall bislang unerkannte funktionelle Vielfalt. Die Ressourcen der Weizen-Pangenomik wachsen schnell, und noch mehr Diversität wartet darauf, entdeckt zu werden.“

Das klingt nüchtern, bedeutet aber: Hinter jedem Korn steht ein globales Netzwerk aus Rechenzentren, Datenbanken und Feldversuchen. Weizen ist längst auch ein digitales Gewächs geworden.

Genetische Vielfalt als Lebensversicherung

Die neu gewonnenen Daten können Züchtungsprogramme beschleunigen, Erträge erhöhen und den Einsatz von Dünger reduzieren – ohne Ertragsverlust. Das schützt Böden, mindert Verschmutzung und erhält Biodiversität. Noch wichtiger aber: Die genetische Breite des Weizens könnte zur Versicherung gegen die Klimakrise werden. Jedes isolierte Gen, das Dürre oder Hitze trotzt, wird zum möglichen Rettungsanker für Millionen Menschen.


Kurzinfo: Genetische Vielfalt im Weizen entdeckt
• Forschungsleitung: Earlham Institute (UK) und Helmholtz Zentrum München
• Methode: RNA-Sequenzierung und de novo-Annotation
• Ergebnis: Neues „Pan-Transkriptom“ des Weizens offenbart bislang unerkannte Genaktivität
• Nutzen: Beschleunigte Züchtung klimaresistenter Sorten
• Kooperation: Über 10 Länder beteiligt, Teil des International 10+ Wheat Genome Project
• Anwendung: Bessere Erträge ohne mehr Dünger → Schutz von Böden und Biodiversität


Originalpublikation:

De Novo Annotation Reveals Transcriptomic Complexity Across the Hexaploid Wheat Pan-Genome in: Nature Communications DOI: 10.1038/s41467-025-64046-1 http://dx.doi.org/10.1038/s41467-025-64046-1

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