Hirn in Geberlaune: Wie unsere Amygdala Großzügigkeit steuert

Hirn in Geberlaune: Wie unsere Amygdala Großzügigkeit steuert

Großzügigkeit spielt sich nach bestimmten Regeln ab – wobei die sozialen Beziehungen eine wichtige Rolle spielen.

(Bild: Redaktion/GPT4o)


Warum geben wir gerne – aber nicht jedem? Warum fällt es leicht, der besten Freundin zu helfen, während wir beim Fremden zögern? Diese Fragen haben weniger mit Charakter zu tun, als viele denken. Eine neue Studie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf liefert überraschende Antworten: Nicht nur Kultur oder Erziehung, sondern auch ein kleiner Bereich tief im Gehirn – die basolaterale Amygdala – bestimmt, wie großzügig wir sind.

Ein seltenes Fenster ins Gehirn

Die Erkenntnis stammt aus einem außergewöhnlichen Experiment in Südafrika. Dort lebt eine kleine Gruppe von Menschen mit dem seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom – weltweit gibt es nur etwa 150 bekannte Fälle. Bei ihnen ist ein Teil des limbischen Systems geschädigt, der bei anderen intakt bleibt: die basolaterale Amygdala (BLA). „Bei diesen Patienten liegt quasi ein natürliches Experimentierumfeld für Fragen des prosozialen Verhaltens vor“, erklärt Prof. Dr. Tobias Kalenscher, der die Studie leitete.

Die Forscher führten sogenannte Diktatorspiele durch – ein psychologisches Testformat, bei dem Teilnehmende Geldbeträge an andere verteilen konnten: an enge Freunde, Bekannte, Nachbarn oder Fremde.

Großzügig – aber nicht wahllos

Das Ergebnis: Menschen mit BLA-Schädigung waren gegenüber engen Bezugspersonen genauso großzügig wie Gesunde. Doch bei Menschen, zu denen sie keine emotionale Bindung hatten, zeigten sie auffallend egoistischeres Verhalten.

„Unsere Studie zeigt, dass die Amygdala nicht generell prosoziales Verhalten fördert oder hemmt. Vielmehr steuert sie, wann und in welchem Maß wir prosozial handeln“, sagt Luca M. Lüpken, Mitautorin der Studie.

Die Amygdala wirkt also wie ein biologisches Feintuning-System für Mitgefühl. Sie sagt dem Gehirn nicht nur ob, sondern für wen Großzügigkeit lohnt – ein innerer Sozialkompass, der nach Nähe kalibriert.

Menschlichkeit in Molekülen

Die Amygdala ist als Teil des limbischen Systems auch für die emotionale Verarbeitung verantwortlich. Ihre Funktion beim sozialen Abwägen war bislang jedoch kaum erforscht. Die Düsseldorfer Studie zeigt: Ohne die BLA fehlt die differenzierte Bewertung von Beziehung und Distanz. Was bleibt, ist ein vereinfachtes Muster: Nähe gleich Empathie, Distanz gleich Selbstschutz.

Das wirft auch ein neues Licht auf psychische Störungen. „Vielleicht wird es in Zukunft möglich sein, gezielte Therapien zu entwickeln, um Menschen mit sozialen Verhaltensauffälligkeiten zu helfen, ihre Entscheidungsprozesse besser zu steuern“, hofft Kalenscher.

Mitgefühl auf Knopfdruck?

Was nach Science-Fiction klingt – eine gezielte „Kalibrierung“ des Mitgefühls – könnte für Menschen mit Autismus oder Psychopathie ein Hoffnungsschimmer sein. Doch auch für den Alltag bedeutet die Erkenntnis: Großzügigkeit ist kein Zufall. Sie entsteht nicht nur aus Moral, sondern ist neurobiologisch gesteuert.

Ein kleiner Kern tief im Gehirn entscheidet, wie viel wir geben – und wem. Der Mensch, so zeigt sich, ist nicht nur ein soziales Wesen. Sondern ein präzise verkabeltes dazu.

Großzügigkeit im Gehirn – Die Rolle der Amygdala

Was ist die basolaterale Amygdala (BLA)?
Ein Teil des limbischen Systems im Gehirn. Sie ist beteiligt an der emotionalen Verarbeitung und Bewertung sozialer Reize – etwa Gesichtsausdrücke oder Nähe-Distanz-Verhältnisse.

Was wurde erforscht?
Forschende testeten Menschen mit Urbach-Wiethe-Syndrom – einer seltenen Krankheit, bei der die BLA geschädigt ist. In sogenannten Diktatorspielen sollten die Teilnehmenden Geldbeträge an Menschen mit unterschiedlicher sozialer Nähe verteilen.

Zentrales Ergebnis:
Patienten mit BLA-Schädigung waren nur gegenüber engen Bezugspersonen großzügig. Bei Fremden überwog ein egoistisches Verhalten. Die BLA hilft also, Großzügigkeit je nach emotionaler Nähe zu dosieren.

Warum ist das wichtig?
Die Studie zeigt: Großzügigkeit ist nicht nur eine Frage der Moral, sondern auch neurobiologisch gesteuert. Erkenntnisse könnten helfen, soziale Verhaltensstörungen wie Autismus oder Psychopathie besser zu verstehen – und gezielter zu behandeln.

Quelle:
Tobias Kalenscher et al. (2025), Steeper social discounting after human basolateral amygdala damage, PNAS Vol. 122.

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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