Nicht nur die Klimabilanz des lebendigen Baustoffs ist positiv – durch seine Selbstheilungskräfte ergeben sich ganz neue Perspektiven.
(Bild: Redaktion/Pablo Ignacio Paspartú (PiPaPu)
Auf den ersten Blick wirkt das Material unscheinbar: eine poröse Masse mit feinen Strukturen, durchzogen von Adern aus Pilzgewebe. Doch unter dem Mikroskop offenbart sich eine kleine Revolution – oder zumindest ein bedeutender Schritt in diese Richtung. Denn was Chelsea Heveran und ihr Team an der Montana State University entwickelt haben, ist kein gewöhnlicher Baustoff: Es lebt. Und es kann sich selbst heilen.
Ein Fundament aus Pilzgeflecht
Die Grundlage für das neuartige Baumaterial bildet das Myzel des Pilzes Neurospora crassa, also jenes wurzelartige Geflecht, das Pilze unterirdisch ausbilden. Kombiniert mit lebenden Bakterien entsteht daraus ein sogenanntes „Engineered Living Material“ (ELM) – ein biologisch aktives Konstrukt, das nicht nur stabil, sondern auch regenerationsfähig ist. „Wir haben gelernt, dass Pilzgerüste sehr hilfreich sind, um die innere Struktur des Materials zu kontrollieren“, sagt Heveran. So ließen sich Geometrien schaffen, die an menschliches Knochengewebe erinnern – stabil und zugleich durchlässig.
Längere Lebensspanne angestrebt
Was das Material besonders macht: Es bleibt länger funktionsfähig als vergleichbare Biomaterialien. Während frühere Versuche nach wenigen Tagen scheiterten, bleibt die neue Substanz mindestens einen Monat lang lebendig. Diese verlängerte Lebensspanne ist entscheidend, betont Heveran: „Das ist spannend, weil wir möchten, dass die Zellen weitere Funktionen übernehmen – etwa Reparaturprozesse oder das Binden von Schadstoffen.“ Noch wurden diese Funktionen nicht getestet. Aber die Lebensdauer des Materials legt das Fundament dafür.
Biologie statt Beton?
Das Ziel der Forschenden ist ambitioniert: Sie wollen klimaschädliche Baustoffe wie Beton zumindest teilweise ersetzen. Denn Zementherstellung ist energieintensiv und verantwortlich für bis zu acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Die Pilz-Bakterien-Strukturen hingegen entstehen bei niedrigen Temperaturen und benötigen keine fossilen Brennstoffe. „Biomineralisierte Materialien sind derzeit noch nicht stabil genug, um Beton in allen Anwendungen zu ersetzen“, räumt Heveran ein. „Aber wir – und andere – arbeiten daran, ihre Eigenschaften zu verbessern.“
Zwischen Biologie und Architektur
Der Reiz des Projekts liegt auch in seiner Interdisziplinarität. An der Schnittstelle zwischen Biotechnologie und Architektur untersuchen die Forschenden, wie sich lebende Organismen als Baustoffe nutzbar machen lassen. Der erste Autor der Studie, Ethan Viles, ließ sich dabei von Anwendungen des Pilzmyzels in Verpackungs- und Dämmstoffen inspirieren. Der nächste Schritt sei nun, so die Forschenden, die Langlebigkeit weiter zu erhöhen und die Herstellung auf industrielle Maßstäbe zu bringen.
Lebendige Baustoffe auf dem Vormarsch
Der Markt für biologische Materialien wächst – doch lebende Substanzen sind bislang schwer zu kontrollieren. Die Entwicklung aus Montana zeigt, dass es möglich ist, lebendige Architektur zumindest temporär nutzbar zu machen. Und wer weiß – vielleicht wächst das Haus der Zukunft tatsächlich aus Pilzen.
Kurzinfo: Bauen mit Pilzblöcken
Projektname:
Biomineralisierte, selbstheilende Baustoffe auf Myzel-Basis
Materialbestandteile:
- Pilzmyzel: Neurospora crassa dient als biologisches Gerüst
- Bakterien: eingebettete lebende Zellen zur Biomineralisation und möglicher Selbstheilung
Besonderheiten:
- Lebendig: Das Material bleibt über einen Monat hinweg biologisch aktiv
- Selbstheilungspotenzial: Zellen könnten Risse ausbessern oder Schadstoffe abbauen (in Folgeprojekten)
- Komplexe Architektur: Myzelstrukturen erlauben knochenähnliche Geometrien für erhöhte Stabilität
- Niedrige Herstellungstemperaturen: Reduzierter Energieverbrauch im Vergleich zu Zement
Ziel:
Langfristige Entwicklung nachhaltiger Baumaterialien mit geringerem CO₂-Fußabdruck – als mögliche Teilalternative zu Beton.
Originalstudie:
Viles, E., Heveran, C., et al. (2025). “Mycelium as a scaffold for biomineralized engineered living materials.”
Cell Reports Physical Science, Cell Press.
https://www.cell.com/cell-reports-physical-science/fulltext/S2666-3864(25)00116-X
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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