Cryogenic Computing als Energie-Joker

Cryogenic Computing als Energie-Joker

Mit flüssigem Stickstoff können Temperaturen von knapp minus 200 Grad erreicht werden – das wäre perfekt, um den Stromverbrauch von Chips deutlich zu senken.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Rechenzentren gelten als die unsichtbaren Kraftwerke der Digitalisierung. Sie speichern unsere Daten, betreiben Suchmaschinen, versorgen Sprachassistenten mit Rechenleistung – und verbrauchen dabei gewaltige Mengen Energie. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) könnte sich der Energiebedarf dieser digitalen Infrastruktur bis 2030 verdoppeln. Grund dafür ist vor allem der rapide wachsende Hunger der Künstlichen Intelligenz nach Rechenleistung. Während Techkonzerne händeringend nach Lösungen für effizientere Systeme suchen, rückt eine Idee in den Fokus, die auf den ersten Blick paradox wirkt: Kälte statt Wärme als Schlüssel zur Energieeffizienz.

Die Idee: Rechnen in der Kältekammer

„Cool Computing“ heißt das Konzept, das ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Prof. Qing-Tai Zhao vom Forschungszentrum Jülich jetzt untersucht hat. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der RWTH Aachen, der EPFL in Lausanne, der Universität Tokio sowie dem taiwanesischen Halbleiterhersteller TSMC skizziert Zhao in einem Beitrag für Nature Reviews Electrical Engineering, wie sich klassische CMOS-Chips für den Einsatz bei extrem tiefen Temperaturen optimieren lassen.

Ein Großteil des Stromverbrauchs in Computern geht auf das Konto der Transistoren“, erklärt Zhao. Diese winzigen elektronischen Schalter – Milliarden davon sitzen auf jedem modernen Chip – benötigen Energie, um zwischen Stromdurchfluss und -sperre zu wechseln. Die Schalteffizienz, gemessen am sogenannten Subthreshold Swing, ist stark temperaturabhängig: Je kälter, desto weniger Spannung ist nötig – desto geringer ist auch der Energieverbrauch.

Flüssigstickstoff statt Lüfter

Tatsächlich zeigen Laborversuche: Bei 77 Kelvin, also etwa minus 196 Grad Celsius – erreichbar mit Flüssigstickstoff – lassen sich bis zu 70 Prozent Energie einsparen. Mit aufwendiger Heliumkühlung bei 4 Kelvin steigt der Wert sogar auf 80 Prozent. Das klingt spektakulär – zumal die Kühlkosten in diese Rechnung bereits einbezogen sind.

Doch zwischen Theorie und Praxis liegt ein Hindernisparcours. Bei sehr tiefen Temperaturen treten physikalische Störungen auf, die bei Raumtemperatur im Hintergrundrauschen untergehen. Dazu zählen sogenannte Band-Tail-Defekte – winzige Unregelmäßigkeiten in der Halbleiterstruktur, die dafür sorgen, dass sich Transistoren nicht vollständig abschalten. Außerdem kommt es zum sogenannten Source-Drain-Tunneling – einem Quantenphänomen, bei dem Elektronen die Sperrschicht einfach „unterwandern“. „Diese Defekte verhindern, dass Transistoren richtig abschalten“, so Zhao. Die Folge: Der erwartete Effizienzgewinn fällt deutlich geringer aus.

Neues Material für eine neue Temperaturwelt

Lösbar ist das Problem dennoch – wenn auch mit erheblichem Aufwand. „Die Realisierung von cryogenic computing verlangt den Austausch von in der kommerziellen CMOS-Technologie etablierten Materialien durch neuartige Materialien bzw. durch die Integration neubewerteter bekannter Materialien“, erläutert Joachim Knoch von der RWTH Aachen. Neue Halbleiter, optimierte Architekturen, spezialisierte Legierungen: All das könnte einen sogenannten „Super-Transistor für die Kälte“ ermöglichen.

Die Anwendungsgebiete wären vielfältig. Hochleistungsrechenzentren, bei denen bereits heute große Teile des Stromverbrauchs auf Kühlung entfallen, könnten massiv profitieren. Hung-Li Chiang von TSMC betont: „Kälteoptimierte Chips könnten dazu beitragen, jede Menge Energie zu sparen, speziell in Hoch- und Höchstleistungsrechenzentren, wo Tausende bis Hunderttausende Chips zum Einsatz kommen“.

Quantentechnologie als Treiber

Besonders vielversprechend ist der Ansatz auch für die Quantencomputer der nächsten Generation. Deren empfindliche Qubits arbeiten nur bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt zuverlässig. „Die Anforderungen für Quantenelektronik sind besonders hoch. Doch damit zusammenhängende Entwicklungen könnten neue Wege eröffnen für Hochleistungsrechner bei kryogenen Temperaturen und universelle kryogene Computer mit extrem niedrigem Stromverbrauch“, sagt Zhao. Auch in der Raumfahrt, etwa bei Langzeitmissionen im All, oder in der Medizin – zum Beispiel in MRT-Geräten – wären kälteoptimierte Chips ein logischer nächster Schritt.

Vom Labor in die Realität?

Noch ist cryogenic computing ein Forschungsfeld mit vielen Unbekannten. Doch das Potenzial ist enorm – sowohl ökologisch als auch ökonomisch. Gerade in Zeiten, in denen die Digitalisierung immer mehr Energie verschlingt, braucht es nicht nur schnellere, sondern auch klügere Technologien.

Vielleicht liegt die Zukunft der Elektronik also tatsächlich in der Kälte. Und vielleicht ist das kühlste Konzept von allen am Ende das nachhaltigste.


Kurzinfo – Cryogenic Computing

  • Prinzip: Rechnen bei tiefen Temperaturen zur Energieeinsparung.
  • Technologie: Anpassung von CMOS-Chips an kryogene Bedingungen.
  • Vorteile: Bis zu 80 Prozent geringerer Energieverbrauch bei optimaler Kühlung.
  • Herausforderungen: Materialdefekte, Quanteneffekte und Limitierungen heutiger Halbleiter.
  • Forschung: Internationale Zusammenarbeit u. a. zwischen Forschungszentrum Jülich, RWTH Aachen, TSMC und EPFL.
  • Anwendungsfelder: Rechenzentren, Quantencomputer, Raumfahrt, Medizintechnik.

Originalpublikation:

Zhao, QT., Han, Y., Han, HC. et al.
„Ultra-low-power cryogenic complementary metal oxide semiconductor technology“,

in: Nature Reviews Electrical Engineering, 2025.

DOI: 10.1038/s44287-025-00157-7

Über den Autor / die Autorin

H.O. Wireless
H.O. Wireless
Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.

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