Musikhören sorgt für Umbau des Gehirns

Musikhören sorgt für Umbau des Gehirns

Mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomographie werden immer neue Vorgänge im menschlichen Gehirn entschlüsselt – besonders spannend ist dabei, was beim Hören von Musik passiert.

(Bild: Redaktion/PiPaPu)


Ein leiser Ton. Ein rhythmischer Takt. Und plötzlich passiert etwas – nicht nur im Ohr, sondern tief im Inneren unseres Denkorgans. Das Gehirn hört nicht bloß zu. Die Verhältnisse werden sozusagen zum Tanzen gebracht: Die neuronalen Netzwerker ordnen sich neu, sie strukturieren sich um, und zwar in Echtzeit. Das zeigt eine Studie aus Dänemark und Großbritannien, die unser Verständnis vom Hören grundlegend verändern könnte.

Das Ohr ist nur der Anfang

Jeder Klang, jedes Piepen, jeder musikalische Ton wandert durch das Ohr ins Gehirn. Doch was dann passiert, war lange Zeit ein blinder Fleck der Neurowissenschaft. Die neue Studie, veröffentlicht in Advanced Science, gibt nun einen faszinierenden Einblick: Das Gehirn registriert Klänge nicht nur – es re-konfiguriert sich, abgestimmt auf die Frequenzstruktur der akustischen Reize.

„Wir sind es gewohnt, Gehirnwellen wie feste Stationen zu denken – Alpha, Beta, Gamma – und das Gehirn als Landkarte mit fixen Regionen“, erklärt Studienleiter Dr. Mattia Rosso vom Center for Music in the Brain an der Aarhus University. „Doch was wir mit FREQ-NESS sehen, ist viel reicher.“

FREQ-NESS: Frequenzen auf Wanderschaft

Im Zentrum der Studie steht eine neue Methode namens FREQ-NESS – ein datengetriebener Algorithmus, der Gehirnaktivitäten nicht nur nach Regionen, sondern nach ihren dominanten Frequenzen aufschlüsselt. Die Forscher trennen damit überlagerte Netzwerke und können erstmals beobachten, wie sich bestimmte Frequenzmuster räumlich im Gehirn ausbreiten – während das Gehirn Klänge verarbeitet.

Das Besondere: Im Gegensatz zu klassischen Ansätzen, die auf vordefinierten Frequenzbändern oder Hirnarealen basieren, ist FREQ-NESS frei von Annahmen. Die Methode deckt selbst feinste Dynamiken auf – mit hoher spektraler und räumlicher Auflösung.

„Die Aktivität im Gehirn ist organisiert durch unterschiedliche Frequenzen, abgestimmt sowohl nach innen als auch auf die Umwelt“, sagt Rosso. „Von diesem Grundprinzip ausgehend haben wir eine Methode entwickelt, die zeigt, wie jede dieser Frequenzen im Gehirn ihren Ausdruck findet.“

Vom Klang zur Landkarte

Was bedeutet das für die Forschung? Laut Co-Autor Professor Leonardo Bonetti von der Universität Oxford könnte FREQ-NESS das Tor zu einer neuen Ära der Hirnkartierung öffnen. Er arbeitet sowohl am Center for Music in the Brain in Aarhus als auch am Centre for Eudaimonia and Human Flourishing in Oxford – und sieht großes Potenzial.

„Das Gehirn reagiert nicht nur – es konfiguriert sich neu. Und jetzt können wir das sehen“, so Bonetti. „Das könnte verändern, wie wir neuronale Reaktionen auf Musik und darüber hinaus erfassen – etwa bei Bewusstsein, Tagträumen oder der allgemeinen Interaktion mit der Außenwelt.“

Musik als Schlüssel zum Ich

Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig: von der Grundlagenforschung über Hirn-Computer-Schnittstellen bis hin zur Diagnostik bei psychischen oder neurodegenerativen Erkrankungen. Besonders spannend ist die Perspektive einer individualisierten Gehirnkartierung – also einer Art neuronalen Fingerabdrucks, der auf persönlicher Frequenzstruktur basiert.

In einem internationalen Forschungsverbund wird FREQ-NESS derzeit in großem Maßstab weiterentwickelt. Die Methode hat sich bereits als robust und zuverlässig in verschiedenen experimentellen Settings erwiesen.

Ein Fenster in die Bewusstseinsforschung

Die Studie reiht sich ein in eine wachsende Forschungslinie, die untersucht, wie rhythmische Strukturen im Gehirn unsere Wahrnehmung, Aufmerksamkeit – und möglicherweise sogar Bewusstseinszustände beeinflussen. Die neue Methode erlaubt dabei nicht nur einen Blick auf neuronale Reaktionen, sondern auf deren innere Logik: Wie Klang das Gehirn choreografiert.

Die Pointe: Während wir Musik hören oder ein rhythmisches Geräusch vernehmen, ist unser Gehirn längst aktiv – es stimmt sich ein, schwingt mit und formt sich selbst. Ein stiller Tanz, den wir nicht hören, aber jetzt sehen können.


Kurzinfo: Was ist FREQ-NESS?

  • Name: FREQ-NESS – Frequency-resolved Network Estimation via Source Separation
  • Funktion: Erfasst Hirnaktivität nach dominanten Frequenzen, nicht nur nach Regionen
  • Prinzip: Entwirrt überlagerte Netzwerke durch algorithmische Trennung
  • Vorteil: Hohe spektrale und räumliche Präzision, keine vordefinierten Frequenzbänder nötig
  • Anwendung: Musikverarbeitung, Wahrnehmungsforschung, Bewusstseinszustände
  • Bedeutung: Ermöglicht neue Formen der Hirnkartierung
  • Forschungskontext: Neurowissenschaften, Neuroästhetik, klinische Diagnostik
  • Zukunftspotenzial: Individualisierte Hirnmuster-Analysen und Gehirn-Computer-Schnittstellen

Originalpublikation:

Mattia Rosso et al.: FREQ-NESS Reveals the Dynamic Reconfiguration of Frequency-Resolved Brain Networks During Auditory Stimulation.
In: Advanced Science, erschienen am 10. April 2025.
DOI: 10.1002/advs.202413195

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