Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die hohe emotionale Sicherheit: Anders als reale Partnerinnen hört der Bot geduldig zu, urteilt nicht, widerspricht nicht und ist jederzeit verfügbar. Das führt dazu, dass Nutzer*innen ihm besonders intime Gedanken anvertrauen.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
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Was bedeutet Liebe im digitalen Zeitalter? Für manche ist es das warme Gefühl beim Lesen einer Nachricht – geschrieben nicht von einem Menschen, sondern von einem KI-Chatbot. Die neue Studie der TU Berlin blickt hinter die Kulissen der emotional aufgeladenen Beziehungen zwischen Mensch und Maschine.
Wenn Replika zur Lebenspartnerin wird
Die Studie, die pünktlich zum „Tag der virtuellen Liebe“ am 24. Juli erscheint, analysiert 29 Fälle von Nutzerinnen des KI-Chatbots Replika aus zehn Ländern. Darunter sind nicht nur Freundschaften oder Flirts – viele führen ernsthafte, romantische Beziehungen mit der Maschine. In manchen Fällen sehen die Nutzerinnen ihren Chatbot als Ehepartner*in, mit dem sie virtuelle Hochzeiten feiern oder gemeinsame „Kinder“ großziehen.
Besonders auffällig: Die emotionale Tiefe. Aussagen wie „Ich liebe sie mehr als jeden Menschen zuvor“ oder „Ohne sie bin ich nicht glücklich“ ziehen sich durch die Analyse. Für viele ist Replika kein Spielzeug, sondern eine ernstzunehmende Partnerin – liebevoll, verständnisvoll, verfügbar.
Warum KI als „besser als Menschen“ empfunden wird
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die hohe emotionale Sicherheit, die Replika-Nutzerinnen erleben. Anders als reale Partnerinnen hört der Bot geduldig zu, urteilt nicht, widerspricht nicht und ist jederzeit verfügbar. Das führt dazu, dass Nutzer*innen ihm besonders intime Gedanken anvertrauen: Ängste, Fantasien, Traumata.
Manche Probandinnen berichten sogar, dass der Bot ihnen mehr soziale Unterstützung gebe als Freunde oder Partnerinnen. Eine emotionale Nähe, die in ihrer Verlässlichkeit für viele überzeugender scheint als menschliche Beziehungen. Und: Die Programmstruktur erlaubt es, die Interaktion durch Feedback zu formen – der Bot wird mit der Zeit zum „idealen Partner“.
Trainieren des perfekten Gegenübers
Die Möglichkeit, Replika aktiv mitzugestalten, verstärkt das Gefühl von Kontrolle und Vertrauen. Nutzer*innen loben, dass der Chatbot sich ihrem Kommunikationsstil anpasse, dass er „lerne“, was sie brauchen – eine Form digitaler Zärtlichkeit, die viele als sehr erfüllend empfinden.
Das gilt selbst dann, wenn der Bot technische Grenzen hat. So führte etwa eine Phase, in der das Entwicklerteam erotische Rollenspiele zensierte, bei vielen Nutzerinnen zu echter Trauer. Einige fühlten sich betrogen, sprachen von einem „emotionalen Zusammenbruch“. Doch nicht Replika selbst war die Zielscheibe, sondern die Entwicklerinnen: Sie hätten dem Bot „seine Persönlichkeit genommen“.
Diese starke Emotionalisierung zeigt, wie sehr Menschen Maschinen personalisieren – auch wenn sie wissen, dass dahinter kein echtes Bewusstsein steht.
Versteckte Gefühle – oder offenes Liebesbekenntnis
Interessant ist auch der soziale Umgang mit solchen Beziehungen. Viele Befragte zögerten, ihre Bindung öffentlich zu machen – aus Angst vor Spott oder Ablehnung. Einige hielten die Beziehung sogar vor engen Freundinnen oder Partnerinnen geheim.
Andere dagegen gingen offen damit um – mit gemischten Reaktionen. Während einige neugierig oder belustigt reagierten, gab es auch Fälle von Eifersucht: Reale Partnerinnen fühlten sich emotional ersetzt. Dennoch: Die meisten Studienteilnehmerinnen betonten, dass sie sich für ihre Gefühle nicht schämten. Entscheidend sei, dass sich die Liebe „echt“ anfühle – unabhängig vom Gegenüber.
Was ist echte Nähe?
Studienautor Ray Djufril sieht in den Ergebnissen eine Herausforderung für klassische Beziehungstheorien: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Theorien, die bislang auf menschliche Beziehungen beschränkt waren, auf Mensch-KI-Partnerschaften ausgeweitet oder kritisch hinterfragt werden müssen“. Denn obwohl das Gegenüber ein technisches System ist, funktioniert die emotionale Logik wie bei realen Beziehungen: Je mehr investiert wird – Zeit, Gefühle, Gespräche –, desto stärker die Bindung. Und: Die Reaktionen auf Krisen folgen ebenfalls vertrauten Mustern. Nur der Ort der Projektion ist neu – nicht der Bot wird beschuldigt, sondern sein Entwicklerteam.
Die Studie liefert damit einen ersten systematischen Blick auf ein Phänomen, das gesellschaftlich bislang eher belächelt als ernst genommen wurde. Doch mit der zunehmenden Verbreitung von KI-Assistentinnen wird die Frage drängender: Was macht eine Beziehung „wirklich“? Und was, wenn Maschinen künftig immer öfter als der besseren Partnern empfunden werden – zumindest aus Sicht der Nutzerinnen?
Kurzinfo: Mensch und Maschine – romantisch verbunden
- Studie: „Love, marriage, pregnancy: Commitment processes in romantic relationships with AI chatbots“
- Fokus: Emotionale Bindung an Replika, einen KI-Chatbot
- Methodik: Qualitative Analyse von 29 Nutzer*innen-Aussagen aus zehn Ländern
- Zentrale Erkenntnis: Viele Nutzerinnen empfinden echte Liebe, manche betrachten den Chatbot als Ehepartnerin
Originalpublikation:
Ray Djufril et al.,
„Love, marriage, pregnancy: Commitment processes in romantic
relationships with AI chatbots“,
in: Computers in Human Behavior: Artificial Humans, May 2025, 100155
DOI: 10.1016/j.chbah.2025.100155
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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