Bisherige seismologische Methoden konnten nur grobe Strukturen von Vulkanen darstellen, die Kombination von 200 Sensoren und KI-Auswertung schafft nun eine detailreiche Darstellung in 3D.
(Bild: Redaktion/PiPaPu)
Vulkane sind Schichtungen aus Lava, Asche und Mythen. Doch wenn sie erwachen, geht es um mehr als nur spektakuläre Bilder: Über 800 Millionen Menschen weltweit leben im Schatten dieser unberechenbaren Feuerberge. Die Frage, wie ihr Aufbruch vorhersehbar wird, ist nicht nur akademisch – sie betrifft Leben, Sicherheit und ganze Volkswirtschaften. Ein Forschungsteam der Universität Genf (UNIGE) und des italienischen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) hat nun erstmals das Innere eines aktiven Vulkans mit einer bislang unerreichten Präzision kartiert.
Blick in die verborgenen Schichten
Die Wissenschaftler wählten keinen geringeren Kandidaten als den „Vulcano“ – die Insel im Norden Siziliens, die im Jahr 2021 in eine Phase unruhigen Schlummerns zurückfiel. Ihr Ziel: ein hochauflösendes dreidimensionales Modell des inneren Aufbaus. Bisherige seismologische Ansätze konnten zwar grobe Strukturen darstellen, doch detailreiche Einsichten blieben aus. „Bislang hat sich die Vulkan-Seismologie vor allem auf Erdbebensignale konzentriert. Großflächige Studien konnten interne Strukturen skizzieren, aber kaum im Detail zeigen, was tief unter der Erde geschieht,“ erläutert Douglas Stumpp, Doktorand und Hauptautor der Studie.
Ein Netzwerk aus 200 Ohren
Um den Herzschlag des Vulkans aufzufangen, installierte das Team rund 200 portable Seismometer auf der Insel. Einen Monat lang registrierten sie die feinen Vibrationen des Bodens. Besonders aufschlussreich: die langsameren sogenannten sekundären Wellen, die ihre Geschwindigkeit verringern, sobald sie auf magmatische Flüssigkeiten treffen. Das gewaltige Datenvolumen wanderte anschließend in den Supercomputer „Yggdrasil“ der Genfer Universität.
„Wir nutzten eine Tomographie auf Basis seismischen Hintergrundrauschens. Für die Datenverarbeitung kamen neuronale Netze zum Einsatz – eine Technologie, die es uns ermöglicht, Vulkane quasi zu röntgen,“ erklärt Stumpp.
Von Ultraschall zu MRT
Das Ergebnis gleicht einem medizinischen Sprung von der Ultraschallaufnahme zum MRT-Bild: ein 3D-Modell, das erstmals die Verteilung magmatischer Flüssigkeiten in den oberen Regionen des „Vulcano“ sichtbar macht. Für die Forschenden markiert dieser Schritt einen Paradigmenwechsel. „Die Technologie der seismischen Rauschtomographie gibt es seit 20 Jahren, aber der Einsatz so vieler Sensoren in Kombination mit Künstlicher Intelligenz ist tatsächlich neu“ betont Matteo Lupi, der leitende Wissenschaftler.
Die Methode erlaubt es nicht nur, Strukturen zu erkennen, sondern auch Dynamiken zu erfassen. Besonders in einer Phase erhöhter Aktivität – wie sie „Vulcano“ 2021 erlebte – ist das Wissen über Gase und Magmaflüsse entscheidend für die Einschätzung der Risiken.
Wissen als Grundlage für Schutz
Eine exakte Vorhersage von Eruptionen ist noch nicht möglich. Doch die Studie zeigt, wohin die Reise geht: zu Echtzeitanalysen, die künftig Evakuierungspläne dynamischer und präziser gestalten könnten. „Wenn wir die Daten in Echtzeit verarbeiten könnten, unterstützt durch neuronale Netze, ließe sich das Verhalten jeder Zone des Systems laufend analysieren. Damit wären anpassungsfähige Evakuierungspläne denkbar“, so Stumpp.
Die Herausforderung bleibt die Geschwindigkeit der Datenverarbeitung – noch ein Nadelöhr. Doch mit dem Zusammenspiel von Künstlicher Intelligenz und Supercomputern wächst die Chance, dass das Kartieren des Vulkankerns irgendwann tatsächlich zum Instrument der Vorsorge wird.
Ein globales Puzzlestück
Von den weltweit 1.500 aktiven Vulkanen ist nur ein Drittel gründlich erforscht. Das Projekt auf Sizilien zeigt, wie technologische Pionierarbeit zu mehr Sicherheit führen kann – nicht nur für die Menschen in der Region, sondern auch für Millionen in Indonesien, Japan oder Mittelamerika. Der Blick ins Herz eines Vulkans ist damit kein Selbstzweck, sondern ein Versuch, den gefährlichen Giganten eine Sprache zu entlocken, die wir rechtzeitig verstehen.
Kurzinfo: 3D-Bilder vom inneren eines Vulkans
Ort: Vulkaninsel Vulcano, nördlich von Sizilien
Methode: Seismisches Hintergrundrauschen, aufgenommen von 200 tragbaren Seismometern
Technologie: Verarbeitung durch neuronale Netze und Supercomputer „Yggdrasil“ der UNIGE
Ergebnis: Präzises 3D-Modell der inneren Strukturen, inkl. Magma- und Gasverteilung
Relevanz: Beitrag zu Risikoanalysen, potenziell Echtzeit-Überwachung möglich
Zahlen: 1.500 aktive Vulkane weltweit, über 800 Mio. Menschen leben im Gefahrenradius
Perspektive: Echtzeitdaten könnten künftig anpassungsfähige Evakuierungspläne ermöglichen
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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