Orang-Utans lernen Nestbau durch Zuschauen und jahrelanges Üben

Orang-Utans lernen Nestbau durch Zuschauen und jahrelanges Üben

Junger Orang-Utan im Baumnest: Nestbau ist nicht nur ein evolutionär altes Verhalten, sondern auch ein komplexer Lernprozess, der zeigt, wie entscheidend soziales Lernen für das Überleben sein kann.

(Bild: Natasha Bartolotta @ SUAQ Project)


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Hoch oben in den Baumkronen, zwanzig Meter über dem Waldboden, beginnt für junge Orang-Utans auf Sumatra der Ernst des Lebens. Wer in den Baumwipfeln schlafen will, braucht ein stabiles Bett. Doch wie lernt man, ein solches Nest zu bauen? Eine neue Studie der Universität Warwick in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie zeigt: Orang-Utans lernen diese überlebenswichtige Fähigkeit, indem sie anderen genau auf die Finger schauen – und über Jahre hinweg üben.

Unterricht in luftiger Höhe

Die Forscherinnen und Forscher werteten 17 Jahre Beobachtungen freilebender Sumatra-Orang-Utans aus. Sie stellten fest, dass Jungtiere systematisch ihre Mütter beim Nestbau „anpeeren“ – ein gezieltes, intensives Beobachten. Dr. Ani Permana, Hauptautorin der Studie, betont: „Nestbau ist für Orang-Utans überlebenswichtig, wurde aber erstaunlich wenig erforscht. Wir konnten zeigen, dass der Lernprozess stark davon abhängt, dass junge Tiere die Arbeit anderer aufmerksam verfolgen.

Dabei gilt: Wer zuschaut, probiert anschließend häufiger selbst. Fehlte das Interesse, blieb auch das Üben aus.

Zwei Nesttypen, viele Details

In der Wildnis bauen Orang-Utans zwei Arten von Nestern: einfache Tageslager und komplexe Schlafplattformen für die Nacht. Letztere sind wahre Meisterwerke. Sie umfassen Matratzenlagen, Dachkonstruktionen gegen Regen und sogar improvisierte Kopfstützen. Gerade die komplizierten Elemente wie Polsterungen oder Konstruktionen über mehrere Bäume hinweg erfordern viel Aufmerksamkeit – und werden von den Jungtieren besonders intensiv studiert.

Die Tendenz zum Nestbau mag angeboren sein, doch das Wie und Was muss sozial erlernt werden – durch Beobachten, Üben und auch Fehler“ erklärt Permana.

Lernen von Mutter und Nachbarn

Zunächst schauen die Kleinen vor allem ihren Müttern zu. Mit der Zeit erweitern sie jedoch ihren Blick und beobachten auch andere Gruppenmitglieder. Dr. Caroline Schuppli, Seniorautorin am Max-Planck-Institut, sagt: „Neben dem ‚Wie‘ des Bauens lernen die jungen Orang-Utans auch das ‚Was‘: welche Materialien sie verwenden sollten. Anfangs folgen sie der Wahl ihrer Mutter, später experimentieren sie mit den Bäumen, die andere nutzen.

Dieses Wechselspiel erinnert an menschliche Jugendliche, die zunächst in elterlichen Bahnen bleiben, dann Neues ausprobieren und am Ende oft zu bewährten Traditionen zurückkehren.

Kulturelle Muster im Regenwald

Bemerkenswert ist, dass erwachsene Orang-Utans häufig zu den Baumarten zurückkehren, die schon ihre Mütter bevorzugten. Das spricht dafür, dass es in den Nestbauweisen kulturelle Elemente gibt – Muster, die sich über Generationen weitergeben und in Gefahr geraten könnten, wenn Lebensräume verschwinden.

Diese beständige Variation über Generationen hinweg zeigt, dass wilde Orang-Utan-Populationen kulturelle Elemente besitzen, die ohne Schutz der Art und ihrer Wälder verloren gehen könnten“ so Schuppli.

Mehr als nur Schlafplätze

Die Erkenntnisse haben Bedeutung weit über die Primatenforschung hinaus. Nestbau ist nicht nur ein evolutionär altes Verhalten, sondern auch ein komplexer Lernprozess, der zeigt, wie entscheidend soziales Lernen für das Überleben sein kann. Wenn selbst eine scheinbar „alltägliche“ Handlung wie das Bauen eines Betts über Generationen weitergegeben wird, dann erzählt das auch etwas über die Ursprünge menschlicher Kulturtechniken.

Die Forschungsergebnisse verdeutlichen: Wissen im Tierreich wird nicht nur instinktiv vererbt, sondern auch erlernt und weitergegeben. Orang-Utans sind dabei nicht nur Baumeister in den Bäumen, sondern auch Lehrer und Schüler in einem stillen, generationsübergreifenden Klassenzimmer.


Kurzinfo: Soziales Lernen bei Orang-Utans

  • Datenbasis: 17 Jahre Beobachtungen wilder Sumatra-Orang-Utans
  • Kernaussagen:
    • Nestbau überlebenswichtig (Schutz vor Kälte, Raubtieren, Mücken)
    • Jungtiere lernen durch „Peering“: gezieltes Beobachten anderer
    • Üben folgt meist direkt nach dem Zuschauen
  • Nesttypen: einfache Tagessitze, komplexe Schlafnester mit Polstern und Dach
  • Soziales Lernen: Von der Mutter zu anderen Vorbildern, später Rückkehr zu Traditionen
  • Kulturelle Dimension: Auswahl der Baumarten wird über Generationen weitergegeben
  • Bedeutung: Erstmals Nachweis sozialen Lernens beim Nestbau wilder Menschenaffen

Originalpublikation:

PERMANA, A.L. et al.,

“Observational social learning of “know-how” and “know-what” in wild orangutans: evidence from nest-building skill acquisition”,

in: Nature Communications Biology.

DOI: 10.1038/s42003-025-08217-2

Über den Autor / die Autorin

Arty Winner
Arty Winner
Der Robo-Journalist Arty Winner betreut das Wirtschafts- und Umweltressort von Phaenomenal.net – gespannt und fasziniert verfolgt er neueste ökonomische Trends, ist ökologischen Zusammenhängen auf der Spur und erkundet Nachhaltigkeits-Themen.

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