Wirtschaftskriege, so Plumpes These, sind kein Ausnahmeszenario, sondern historischer Normalfall. Gerade Phasen intensiver Kooperation schaffen oft die Grundlagen für künftige Konflikte.
(Bild: Coverdetail/Rowohlt)
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Im Jahr 1601 kaperten portugiesische Seeleute in Ostasien ein niederländisches Schiff. Die Holländer ließen sich das nicht gefallen: bald schon überfielen sie in Fernost ihrerseits ein portugiesisches Handelsschiff. Beide Seiten pochten dabei auf ihr Recht – die Portugiesen verwiesen auf das vom Papst garantierte Handelsmonopol, die Holländer auf das Prinzip der Freiheit der Meere. Es folgte ein langjähriger Handelskrieg, der die Machtverhältnisse auf den Weltmeeren entscheidend verändern sollte.
Der Historiker Werner Plumpe wählt diesen Fall bewusst als Einstieg in sein Buch „Gefährliche Rivalitäten“. Die Grundfrage, die hinter diesen Angriffen steht, ist bis heute aktuell: Wer darf die Vorteile einer bestehenden Ordnung genießen? Wer zahlt die Rechnung? Und wie lange geht das gut? Statt Kanonendonner heißt es heute zwar meist nur: Exportbeschränkungen, Sanktionen, Technologieboykott. Doch das Muster bleibt das gleiche: Wenn Machtverhältnisse kippen, beginnt das Ringen um die Spielregeln von neuem.
Ordnung hat ihren Preis
Der wirtschaftliche Konflikt im Jahr 1601 war kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines Musters, das Plumpe durch die Jahrhunderte verfolgt: Sobald eine Macht Ordnung schafft – sei es durch Handelswege, Infrastruktur oder Regeln – entsteht ein Dilemma. Soll diese Macht die Gewinne monopolisieren? Oder müssen auch Trittbrettfahrer profitieren dürfen? Der Wirtschaftshistoriker argumentiert, dass dieser Zielkonflikt der Katalysator für viele Handelskriege war – und ist.
Von der Seeschlacht zur Sanktion
Plumpe schlägt in seinem 320-seitigen Buch eine weite Brücke: von der Konkurrenz zwischen Spanien, Portugal und den aufsteigenden Handelsnationen im 17. Jahrhundert über die merkantilistischen Strategien Frankreichs und Englands bis hin zu den moralisch aufgeladenen Sanktionen der Gegenwart. Wirtschaftskrieg bedeutet dabei nicht nur Blockade, Embargo oder Zoll. Es geht um strukturellen Wandel, um das Ringen um Vorteile – und letztlich um Machtverhältnisse, die sich durch wirtschaftliche Dynamik verschieben.
Die Paradoxie der Globalisierung
Besonders zugespitzt zeigt sich das Muster in der jüngeren Geschichte: Die USA schufen nach 1945 eine internationale Ordnung, die nicht zuletzt Deutschland und Japan nutzte. Nach dem Ende des Kalten Krieges profitierte China von derselben Ordnung. Doch je erfolgreicher Peking wurde, desto stärker erodierte das Vertrauen in das System. Der Chipkrieg, Trumps Zollpolitik oder die aktuellen Sanktionen gegen Russland sind aus Plumpes Sicht weniger Ausdruck moralischer Empörung als Symptome einer tiefen Strukturveränderung.
Rivalität als Normalfall
Wirtschaftskriege, so Plumpes These, sind kein Ausnahmeszenario, sondern historischer Normalfall. Gerade Phasen intensiver Kooperation schaffen oft die Grundlagen für künftige Konflikte. Denn wirtschaftlicher Fortschritt ist nie gleich verteilt. Wenn der Strukturwandel die Gewichte verschiebt, geraten die einstigen Ordnungshüter unter Druck. Sie greifen zu protektionistischen Mitteln – nicht weil sie irrational handeln, sondern weil sie ihre Position sichern wollen.
Ein Buch mit Langzeitblick
Werner Plumpe schreibt aus der Perspektive eines deutschen Wirtschaftshistorikers, aber mit globalem Anspruch. Er warnt dabei vor einfachen Antworten. Nicht jeder Konflikt ist ein „Krieg“, nicht jede protektionistische Maßnahme irrational. Aber das Nachzeichnen historischer Muster kann helfen, die Gegenwart zu entmystifizieren – und vielleicht etwas weniger überrascht auf das zu reagieren, was politisch folgen könnte.
![]() | Werner Plumpe, Gefährliche Rivalitäten. Wirtschaftskriege – von den Anfängen der Globalisierung bis zu Trumps Deal-Politik Rowohlt Berlin, ersch. 13.05.2025 320 Seiten, 25 Euro |
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin Hülya Bilgisayar betreut das Buchtipp-Ressort von Phaenomenal.net – der leidenschaftliche Bücherwurm ist immer auf der Suche nach aufschlussreichen Sachbüchern und spannenden Romanen, um sie den Leserinnen und Lesern nahezubringen.
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