Im Experiment erzeugten die synthetischen Zellen zunächst ein leuchtendes Protein, um die Methode der magnetischen Aktivierung zu testen. Für den medizinischen Einsatz könnten aber ebenso Medikamente gegen Tumoren oder bakterielle Infektionen eingebaut werden.
(Bild: Ellen Parkes et al.,)
Ein Medikament, das tief im Körper punktgenau freigesetzt wird – ohne Spritze, ohne systemische Nebenwirkungen. Was bislang nach einer Vision der Zukunft klang, könnte bald Realität werden. Forscherinnen und Forscher aus London und Oxford haben sogenannte synthetische Zellen entwickelt, die sich per Magnetfeld aktivieren lassen und dabei Arzneien direkt an ihrem Zielort freisetzen. Die Studie erschien in Nature Chemistry – und könnte den Grundstein für eine neue Generation von Krebstherapien legen.
Künstliche Zellen, echte Wirkung
Synthetische Zellen sind winzige Nachahmungen lebender Zellen. Sie bestehen aus einer Fetthülle, die DNA oder andere biomolekulare Bausteine umschließt. Im Labor lassen sie sich so programmieren, dass sie bestimmte Proteine herstellen. Doch bisher endete ihr Nutzen, sobald sie in den Körper gelangten – die Kontrolle über die winzigen Konstrukte ging verloren. Frühere Ansätze arbeiteten mit Licht, doch Licht dringt nur Millimeter tief ins Gewebe.
Das neue Verfahren setzt stattdessen auf Magnetismus. Die Forschenden banden DNA-Stränge an Eisenoxid-Nanopartikel, die dann in eine Lipidmembran eingebettet wurden. Wird ein wechselndes Magnetfeld angelegt, erhitzen sich die Partikel lokal – genug, um die DNA im Inneren zu aktivieren. Diese produziert daraufhin Proteine, die wiederum den Ausstoß von Wirkstoffen auslösen.
Ein Schlüssel für die Krebstherapie
Im Experiment erzeugten die synthetischen Zellen zunächst ein leuchtendes Protein, um die Methode zu testen. Für den medizinischen Einsatz könnten aber ebenso Medikamente gegen Tumoren oder bakterielle Infektionen eingebaut werden. Seniorautor Michael Booth von der UCL erklärt:
„Synthetische Zellen können für eine Vielzahl von Anwendungen maßgeschneidert werden. Sie könnten künftig so programmiert werden, dass sie ein Medikament freisetzen, sobald sie in ihrer Umgebung etwa einen Tumor oder Bakterien erkennen. Dieser gezieltere Ansatz könnte es Ärzten erlauben, kleinere Dosen einzusetzen – und die Therapie sicherer zu machen.“
Damit eröffnet sich eine Perspektive, die weit über die Krebsmedizin hinausreicht. Von Antibiotika bis zu Immuntherapien könnten zahlreiche Substanzen lokal gesteuert werden.
Hürden im Detail
Doch noch sind viele Fragen offen. Eine große Herausforderung besteht darin, ungewollte Lecks zu verhindern. In früheren Versuchen lösten sich DNA-Stränge zu leicht von den Nanopartikeln und gaben Wirkstoffe zu früh frei. Um das zu vermeiden, nutzte das Team eine neue Methode: Mithilfe eines elektrischen Felds wurden schwach gebundene DNA-Stränge entfernt, sodass nur stabile Verbindungen übrig blieben. Die Leckrate sank damit um 90 Prozent.
Auch die Sicherheit spielte eine zentrale Rolle. Die Magnetfelder und die lokale Erwärmung bewegten sich laut den Forschenden im Bereich bereits zugelassener Verfahren – etwa jener, die bei der Behandlung aggressiver Hirntumoren eingesetzt werden.
Vom Labor zum Patienten
Noch ist der Weg lang. Die bisherigen Versuche liefen in Wasser und in Röhren, die körpereigenes Gewebe nachahmen. Nun will das Team die Methode im Labor mit echten Krebszellen testen. Doktorandin Ellen Parkes von der University of Oxford betont:
„Unser Proof of Principle eröffnet die Möglichkeit, eine bereits klinisch zugelassene Krebstherapie neu zu nutzen – indem wir Magnetfelder einsetzen, um Medikamente nur am Zielort im Körper freizusetzen.“
Sie sieht darin eine Plattformtechnologie:
„Der Ansatz ist vielseitig und ermöglicht es, unterschiedliche Medikamente gegen verschiedene Krebsarten einzusetzen. Mit weiterer Forschung könnte daraus eine neue Therapieform entstehen.“
Mehr Präzision, weniger Nebenwirkungen
Die Vision: eine Behandlung, die so zielgenau ist, dass der gesamte Organismus geschont bleibt. Kleinste Dosen könnten ausreichen, weil sie direkt am Tumor wirksam werden. Damit ließe sich nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch die oft belastenden Nebenwirkungen von Chemotherapien reduzieren.
Noch ist vieles Zukunftsmusik – doch die Richtung ist klar. Mit magnetisch steuerbaren Zellen betreten die Forschenden Neuland. Und sie stellen damit eine alte medizinische Hoffnung in Aussicht: den Wirkstoff nur dort freizusetzen, wo er wirklich gebraucht wird.
Kurzinfo: Magnetisch aktivierte Zellen für neue Therapien
- Entwickelt von Chemikern der UCL und University of Oxford
- Synthetische Zellen enthalten DNA-umhüllte Eisenoxid-Nanopartikel
- Aktivierung durch wechselnde Magnetfelder → lokale Erwärmung
- DNA produziert Proteine für kontrollierte Medikamentenfreisetzung
- Vorteil: präzise Steuerung im Körper, tief unter der Haut
- Bisherige Tests in Wasser und Röhren, nächste Schritte im Labor mit Krebszellen
- Methode verringert Risiko von DNA-Lecks um 90 Prozent
- Potenzial: Krebs- und Infektionsbehandlungen mit geringeren Nebenwirkungen
- Nutzung bestehender, klinisch erprobter Magnetfeld-Technologien denkbar
Originalpublikation:
Michael Booth et al., Magnetic activation of spherical nucleic acids enables the remote control of synthetic cells,
in: Nature Chemistry
DOI: 10.1038/s41557-025-01909-6
Über den Autor / die Autorin

- Die Robo-Journalistin H.O. Wireless betreut das Technik- und Wissenschafts-Ressort von Phaenomenal.net – sie berichtet mit Leidenschaft und Neugier über zukunftsweisende Erfindungen, horizonterweiternde Entdeckungen oder verblüffende Phänomene.
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